samedi 31 mai 2014

Worauf es ankommt




Ab und zu muss ich mir die Frage stellen: Worum geht es eigentlich in meinem Leben? Wofür bin ich überhaupt da? Was ist für mich das Wichtigste, das Entscheidende? Worauf kommt es an?

Dieser Frage muss sich auch jede Gruppierung stellen, jeder Verein, jede Partei, jede Kirche, auch die UNO und die EU. Und diese Frage stellt sich immer wieder. Dazu eignen sich – je nach dem – besondere Anlässe wie Einkehrtage, Exerzitien, Gedenktage, Klausurtagungen, Wahlen, Geburtstage. Denn sowohl für einzelne wie für Partnerschaften oder Gruppierungen jeglicher Art gelten die Gesetze der Routine, der Gewöhnung und der Abnutzung. Was einmal als wesentlich angesehen wurde, verliert im Laufe der Zeit seinen Glanz, zersplittert in Einzelheiten und Nebensächlichkeiten, verblasst im Formelhaften und im Kreisen um sich selbst.

Es war und ist vor allem die Aufgabe der Propheten und Prophetinnen, auf das Ursprüngliche, das Wesentliche, das Eigentliche aufmerksam zu machen.
Hier das eine oder andere Beispiel aus den ältesten Schriftpropheten des Alten Testaments.

Der Prophet Amos – er lebte um 750 vor Christus – verkündete dem Volk, das meinte mit Opfern und Feiern dem Auftrag des Ewigen Genüge zu tun:
Ich hasse eure Feste, ich verabscheue sie und kann eure Feiern nicht riechen… Ich habe kein Gefallen an euren Gaben, und eure fetten Heilsopfer will ich nicht sehen. Weg mit dem Lärm deiner Lieder! Dein Harfenspiel will ich nicht hören, sondern das Recht ströme wie Wasser, die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.( 5,21-24)
Das ist es, worauf es ankommt.

Michaer wirkte um 720 vor Christus – nimmt zuerst die Fragen der Gottsucher auf:
Womit soll ich vor den Ewigen treten, wie mich beugen vor dem Gott in der Höhe? Soll ich mit Brandopfern vor ihn treten, mit einjährigen Kälbern? Hat der Ewige Gefallen an Tausenden von Widdern, an zehntausend Bächen von Öl? Soll ich meinen Erstgeborenen hingeben für meine Vergehen, die Frucht meines Leibes für meine Sünde?

Und der Prophet antwortet gleich selbst:
Es ist dir gesagt worden, Mensch, was gut ist und was der Ewige von dir erwartet: Nichts anderes als dies: Recht tun, Güte und Treue lieben und besonnen den Weg gehen mit deinem Gott. (6,6-8)
Das ist es, worauf es ankommt
 
Hoseaein Zeitgenosse des Micha – bringt es auf den Punkt mit dem Wort, das der Evangelist Matthäus (9,13; 12,7) Jesus gleich zweimal in den Mund legt:
Güte gefällt mir – nicht Schlachtopfer,
Gotteserkenntnis – nicht Brandopfer. (6,6)


Das ist es, worauf es ankommt.
 
 Hermann-Josef Venetz

samedi 24 mai 2014

Komm heute noch!


 Im so genannten Brevier, dem Stundengebetbuch der Kirche, las ich nach dem Vaterunser folgenden Zwischenruf:
Wie lange noch, Ewiger, bis der Tag deiner Herrschaft anbricht?
Komm, unser Retter, komm heute noch! 
 
Das Vaterunser darf durchaus etwas Dringliches an sich haben. Wir dürfen es auch stürmisch beten: Komm jetzt! Die Brotbitte enthält übrigens die Dringlichkeit des Heute: Gib uns heute unser täglich Brot. Ich höre die hungernden Kinder wimmern und weinen. Und ich höre die Väter und Mütter, die nichts haben, um sie zu ernähren. Sie brauchen heute noch, jetzt Hilfe.
Auch die Bitte um Vergebung hat etwas Dringliches an sich. Nicht damit die Dinge möglichst bald ‚erledigt’ sind, sondern dass wir möglichst bald frei werden von unseren Lasten und unseren Besessenheiten.

Aber dann hörte ich auch bei jeder Bitte jeweils das Echo von Gott her: ‚Wie soll mein Wille heute noch geschehen, wenn du ihn nicht erfüllst?’ ‚Wie soll ich heute noch kommen, wenn du doch nicht da bist, um mir zur Hand zu gehen?’ ‚Wie soll ich heute meinen Namen heiligen, wenn du nicht heute noch in diese Heiligung einstimmst?’

Wäre das nicht auch eine Art, das Vaterunser zu beten: dass wir bei jeder Bitte unsere Mithilfe anbieten? Zum Beispiel
- Geheiligt werde dein Name meiner Mithilfe darfst du gewiss sein.
- Dein Reich Komme – ich möchte dir dabei zur Hand gehen.
- Dein Wille geschehe – auf mich darfst zählen.
- Unser tägliches Brot gib uns heute – ich möchte es mit den Hungrigen zu teilen.
Mit verschränkten Armen oder mit den Händen in den Taschen lässt sich nicht beten. Erst recht nicht das Vaterunser.

Hermann-Josef Venetz

samedi 17 mai 2014


Glasmalerei von Jacques Düblin In den letzten Jahren wird nicht nur im Geburts- und Wohnhaus, sondern bei den Gottesdiensten und Andachten im Ranft

Ein Gebet zum Nachdenken
Nach der Überlieferung soll Niklaus von Flüe folgende Verse täglich gebetet haben:

Mein Herr und mein Gott,
nimm alles mir, was mich hindert zu dir.
Mein Herr und mein Gott,
gib alles mir, was mich führet zu dir.
Mein Herr und mein Gott,
nimm mich mir und gib mich ganz zu eigen dir.

Viele Menschen haben bei diesem Gebet ein ungutes Gefühl. Gibt man denn Gott so nicht eine Art Blankovollmacht? Nimm alles von mir…, gib alles mir… Das könnte doch einmal ins Auge gehen.
Nun, ich meine, dass das zum Risiko des Glaubens und des Betens gehört. Die Frage ist die, ob wir Gott zutrauen, dass er wirklich nur das Beste von uns und für uns will.
Mein Problem liegt anderswo. Ich empfinde dieses Gebet zu aufwühlend – wenn es denn überhaupt ein Gebet ist.

Nimm alles von mir, was mich hindert zu dir.
Bin ich so sicher, dass Gott mir nehmen will, was ich ihm nicht freiwillig gebe?
Und was ich ihm freiwillig gebe, bin ich denn so sicher, dass er das auch will?

Gib alles mir, was mich führet zu dir.
Bin ich so sicher, dass Gott mir gibt oder gar aufdrängt, was ich vielleicht gar nicht möchte?
Und wenn ich das entgegennehme, was er mir geben möchte, soll es mich dann wirklich ganz zu ihm führen?

Nimm mich mir und gib mich ganz zu eigen dir.
Bin ich so sicher, dass Gott mich mir nehmen und so gewissermassen in Besitz nehmen will? 
 
Und wenn ich mich ihm gebe, sollte es dann nicht mein grösster Wunsch sein, dass ich ich bleibe und Gott Gott bleibt?

Das Gebet von Bruder Klaus ist vielleicht weniger ein Gebet als eine Einladung zum andauernden tiefen Zwiegespräch.

Hermann-Josef Venetz

samedi 3 mai 2014

Ein Klagelied



In meinem Brevier, dem Gebetbuch für den täglichen Gebrauch, las ich neulich ein Klagelied mit dem Titel Wo warst du?


Es beginnt so:
Ich war traurig.
Doch du zeigtest dich gelassen.
Ich war traurig.
Doch du hattest keine Zeit.
Ich war traurig.
Doch du hast mich nicht getröstet.

So ging es weiter.
Ich merkte bald, dass es nicht mein Lied ist, 
mit dem ich mich bei Gott beklage. 
Ich empfand es eher als Klage Gottes mir gegenüber.
Wie sagte doch der Schriftsteller Heinrich Böll 
vor Jahren anlässlich des Karfreitags:

Jetzt ist es an der Zeit, Gott zu trösten.

Hermann-Josef Venetz

samedi 26 avril 2014

Die Sackgasse



Seit Bestehen der Menschheit wurde die Frage nach ‚Gott’ immer wieder gestellt und ganze Bibliotheken wurden zu diesem ‚Thema’ geschrieben: Gott ist allmächtig, allwissend, allgegenwärtig; er hat alles erschaffen, er steht über allem, sieht alles, hört alles… Man müsste doch meinen, zu diesem ‚Thema’ sei bereits alles gesagt und gehört und geschrieben und gelesen worden. Aber eben: Wir haben ‚Gott’ zum ‚Thema’ gemacht aber ihn nie zu Worte kommen lassen. Wir haben alles Mögliche in ihn hineinprojiziert und ihn so für uns zurechtgeschneidert. Wir haben uns einen Gott nach unserem Bild und Gleichnis gemacht und uns so in eine tödliche Sackgasse begeben.

Aus dieser Sackgasse könnte uns Jesus herausführen, wenn wir wirklich auf ihn sehen und ihn nicht zum altbekannten ‚Gott’ machen würden, von dem wir ja ganz genau zu wissen meinen, wer er ist und was er sagt. Wenn wir beim Reden über Jesus nur unser Reden über Gott wiederholen – er ist allmächtig, allwissend, allgegenwärtig – drehen wir uns weiterhin im Kreis und bleiben so in der tödlichen Sackgasse. Aus dieser Sackgasse wird uns nur der Jesus befreien, den wir nicht zum ‚Thema’ machen, sondern zu Worte kommen lassen, dem wir nachfolgen auf dem Weg zu den Armen und Hungernden, zu den Fremden und Abgeschriebenen.

Hermann-Josef Venetz

samedi 19 avril 2014

Gottes Sehnsucht


 Die Mystikerin Mechthild von Magdeburg – sie lebte im13. Jahrhundert – soll gesagt haben:
Gott hat an allen Dingen genug, nur allein die Berührung der Seele wird ihm nie genug.
Das klingt doch so, als ob Gott Sehnsucht habe nach den Menschen, so als ob er ihnen nie nahe genug sein könne. Dabei gibt es keinen Unterschied zwischen guten und bösen Menschen, zwischen starken und schwachen; zu ihnen könnte sogar ich gehören.
In einem Heilig-Geist-Lied heisst es:
Gottesgeist, komm und berühre mein mir verborgenes Ich.
Das Ich, das ich täglich erfahre – mit all seinen Stärken und Schwächen, mit allem Hoffen und Bangen und Scheitern – ist nicht das ganze Ich. Das eigentliche Ich im Tiefsten meiner selbst ist mir verborgen. Aber Gott soll dieses Ich berühren; es ist das Ziel seiner Sehnsucht.
In seinen Bekenntnissen spricht Aurelius Augustinus – er lebte im 4./5. Jahrhundert – vom deus intimior intimo meo, das heisst vom Gott der mir – wörtlich – intimer ist als mein Intimstes, mir näher als ich mir selber bin. Auch hier geht es nicht nur um mein oberflächliches Ich. Gott möchte meinem innersten, eigentlichen Ich nahe sein. In jedem Menschen, auch im korruptesten, wohnt ein solches Ich.
Die Idee von der Sehnsucht Gottes nach den Menschen, nach dem Innersten des Menschen lässt mich nicht mehr los.
Kürzlich sass ich im Bus an der Haltestelle beim Python-Platz in Freiburg. Am Rande einer Kundgebung sah ich eine Gruppe von geistig behinderten Kindern und Jugendlichen. Eine junge Frau beugte ihren Oberkörper unaufhörlich nach vorwärts und wieder zurück, vor und zurück, vor – zurück. Und es drängte sich mir die Frage auf: Hat Gott auch Sehnsucht nach dem Innersten dieses Geschöpfs? Und äussert sich vielleicht seine Sehnsucht gerade in den fast wilden Bewegungen dieser jungen Frau? – Und könnte es sein, dass auch diese junge Frau ihre Sehnsucht nach Gott nur mit diesen Bewegungen äussern kann?

Hermann-Josef Venetz

samedi 12 avril 2014

Schaut vorwärts !



Es macht wenig Sinn, darüber zu grübeln und sich darüber zu quälen, was man alles falsch gemacht oder vernachlässigt hat. Und wenn uns etwas Leidvolles zustösst, fragen wir um Himmels Willen nicht, wofür uns Gott bestrafen will. Gewiss sollen wir die Dinge, die schief gelaufen sind, wieder in Ordnung zu bringen, soweit das möglich ist, und Menschen, denen wir Unrecht getan haben, sollen wir um Verzeihung zu bitten. Quälen sollen wir uns aber nicht; Selbstvorwürfe blockieren nur; und Gott hat nicht das geringste Interesse daran, uns zu strafen. Vielmehr gilt es, jetzt da zu sein und es besser zu machen und ohne Hektik die Zeit zu nützen, die uns noch bleibt.

Leute kamen zu Jesus und berichteten ihm, dass der Turm am Siloach eingestürzt sei und achtzehn Menschen erschlagen habe. Jesus gestattet es nicht, nach der Schuld der Erschlagenen zu fragen; sie hatten nicht mehr Schuld auf sich geladen als alle anderen Bewohner Jerusalems. Die einzige Konsequenz, die es aus dem tragischen Vorfall zu ziehen gilt, ist diese: Kehrt um und fragt nach Gott und geht auf seinen Wegen! (vgl. Lk 13,1-5)

Ein anderes Mal begegnet Jesus mit seinen Jüngern einem blindgeborenen Mann. Die Frage der Jünger war prompt die nach der Schuld: Wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren wurde? Eben so prompt war die Antwort Jesu: Weder – noch! Fragt nicht nach der Schuld! Fragt nicht nach der Vergangenheit! Blickt viel mehr vorwärts, blickt vielmehr auf die Chancen, die Gott in seiner Weisheit diesem Menschen eröffnet! Und lasst euch in die Pläne Gottes einbinden! (vgl. Joh 9,1-3)

Glaubende Menschen lassen sich weder von der eigenen Schuld noch von der Schuld anderer erdrücken. Sie fragen nach Gott, der das Leben aller will.

Hermann-Josef Venetz