vendredi 31 août 2012

Gebet des älter werdenden Menschen




Gütiger Gott, du weißt besser als ich,
dass ich von Tag zu Tag älter
und eines Tages alt sein werde.
Bewahre mich vor der Einbildung,
bei jeder Gelegenheit und zu jedem Thema
etwas sagen zu müssen.

Erlöse mich von der grossen Leidenschaft,
die Angelegenheiten anderer ordnen zu wollen,
lehre mich, nachdenklich (aber nicht grüblerisch)
hilfreich (aber nicht diktatorisch) zu sein.
Bei meiner ungeheuren Ansammlung von
Weisheiten erscheint es mir ja schade,
sie nicht weiterzugeben – aber Du verstehst,
dass ich mir ein paar Freunde und Freundinnen erhalten möchte.

Bewahre mich vor der Aufzählung endloser Einzelheiten,
und verleihe mir Schwingen, zur Pointe zu gelangen.

Lehre mich schweigen
über meine Krankheiten und Beschwerden.
Sie nehmen zu – und die Lust, sie zu beschreiben,
wächst von Jahr zu Jahr.

Ich wage nicht, die Gabe zu erflehen,
mir Krankheitsschilderungen anderer
mit Freude anzuhören, aber lehre mich,
sie geduldig zu ertragen.

Lehre mich die wunderbare Weisheit,
dass ich mich irren kann.

Erhalte mich so liebenswert wie möglich.
Ich möchte kein Heiliger (keine Heilige) sein –
Mit ihnen lebt es sich so schwer – ,
aber ein alter Griesgram
ist das Königswerk des Teufels.

Lehre mich, an anderen Menschen
unerwartete Talente zu entdecken,
und verleihe mir, gütiger Gott, die schöne Gabe,
sie auch zu erwähnen.
(Theresa von Avila, 1515 bis 1582)

samedi 25 août 2012



Beten als Wundermittel? 

Als Jugendliche haben wir es gelernt, und zwar bei unseren verehrten Lehrern am katholischen Gymnasium: Es ist schon richtig, für das gute Gelingen eines Examens zu beten; aber das Beten ersetzt das Studieren nicht. Eine Binsenwahrheit, würde man meinen. In Wirklichkeit wird diese Wahrheit immer wieder verdrängt. Der Beispiele gibt es genug.
- Wir beten für den Frieden in der Welt; an unserer Armee und unserer Waffenausfuhr soll es aber nichts zu rütteln geben.
- Wir beten für die Hungernden in der Welt; das hindert uns aber nicht daran, unseren Benzintank mit Kraftstoff zu füllen, der aus Getreide gewonnen wird, das vielen Hungernden fehlt.
- Wir beten für ein engeres Zusammenrücken der Völker und Nationen; aber wir schreien auf, sobald es an unseren Geldsack und an unsere wirtschaftliche Entwicklung geht.
- Bei der Eucharistiefeier betet der Priester: Mache die Kirche zu einem Ort der Wahrheit und der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens; der Vatikan weigert sich aber bis heute, die Menschenrechtskonvention zu unterzeichnen.
Eine bekannte Erzählung in neuer Version lautet so:
Ein Mann ging von Jerusalem hinab nach Jericho und fiel unter die Räuber; die plünderten ihn aus, schlugen ihn, liessen ihn halbtot liegen und machten sich davon.
Zufällig kam da einer vorbei. Er sah den Zusammengeschlagenen, ging dann aber an ihm vorüber. Ein zweiter, der des Weges kam, machte es ebenso. Es kam ein dritter. Der blieb stehen, stieg vom Pferd und sagte dem Halbtoten mit deutlich vernehmbarer Stimme: Ich werde für dich beten...
Beten ersetzt nicht das Studieren, auch nicht das Zuhören, auch nicht das Reden miteinander, auch nicht die tätige Hilfe, auch nicht den Protest. Menschen, die schnell das »Wundermittel Gebet« zu Hand haben, verdienen gewiss meine Ehrerbietung; ihre Menschenverachtung macht mir bisweilen Angst.
Hermann-Josef Venetz

vendredi 17 août 2012


Sucht zuerst das Reich Gottes.
Alles andere wird euch hinzugegeben werden
 (Matthäus 6,33)

Was das bedeutet, hat Jesus gelebt, indem er selbst auf die Menschen zuging, die es am nötigsten hatten und für die – nach seinem Glauben und nach seiner Überzeugung – Gott Partei ergriffen hat: die gekrümmte Frau, der Aussätzige, der blinde Bartimäus, die seit 12 Jahren an krankhaftem Blutfluss Leidende, Levi, der am Zolltisch sass, weil er sonst keine Arbeit hatte, die Kanaanäerin, der Mann, den die Räuber halbtot liegen liessen...

In diese Offenheit wies Jesus jene ein, die mit ihm gehen wollten: Simon und Andreas, Maria von Magdala, Jakobus, Susanna und wie sie alle hiessen. Wo sie jenen begegneten, die von allen anderen, besonders von den Frommen abgeschrieben wurden, sollte sich das Entscheidende ereignen, sollte Gott selbst ankommen, das Leben, das allein diesen Namen verdient.

Diese Weite liess auch alles andere zweitrangig werden: Familie, Beruf, gesellschaftliche Stellung, Staat, Nahrung, Kleidung, Zeit... Es gibt wichtigeres. Das Reich Gottes. Das Leben. Der Mann, den sie halbtot liegen liessen, den arbeitslosen Levi, die gekrümmte Frau. Die gilt es aufzusuchen und aufzurichten. Sucht zuerst das Reich Gottes, alles andere...

Für alles andere empfiehlt Jesus einen sorglosen, fast möchte ich sagen: einen spielerischen Umgang.

Hermann-Josef Venetz

mercredi 15 août 2012

Corminboeuf



In der Nähe von Fribourg befindet sich Corminboeuf, ein langgezogenes schmuckes Dorf. Auf einer kleinen Anhöhe steht ein schönes altes Kirchlein. Der wichtigste Blickfang im Innern ist neben dem grossen Kruzifix eine Muttergottesstatue. Kunstgeschichtlich ist sie nicht leicht einzuordnen, aber das tut jetzt nichts zur Sache. Auf dem Knie der sitzenden Madonna steht aufrecht das Jesuskind. In seiner Hand hält es die Weltkugel. Solche Darstellungen gibt es zuhauf. Die Botschaft ist klar: In dem kleinen Kind ist Gott selbst Mensch geworden; in dem kleinen Kind begegnet uns der Schöpfer und Erhalter des Himmels und der Erde.

Die Statue im Kirchlein von Corminboeuf weist noch in eine andere Richtung: Die Welt mit all ihren Kriegen, mit all dem Hunger, mit all den Bedrohungen liegt in der Hand eines hilflosen Kindes. Wenn es die Weltkugel dem Betrachter, der Betrachterin entgegenstreckt, ist es, wie wenn es in seiner Schwachheit um Verständnis, wie wenn es in seiner Ohnmacht um Hilfe bitten würde.

Der Schriftsteller Heinrich Böll soll zu Karfreitag einmal gesagt haben: »Jetzt ist es an der Zeit, Gott zu trösten.«

Wir rufen Gott um Hilfe an, wir erwarten, dass er eingreift, wenn etwas nicht so geht, wie wir es möchten, dass er uns vor dem Bösen bewahrt, dass er uns Kraft gibt, unseren Alltag zu bewältigen, dass er uns im Leid tröstet. Wir wenden uns Hilfe suchend an Gott eben so, wie Kinder ihren Vater und ihre Mutter um Hilfe angehen.

In Corminboeuf sind die Rollen wie vertauscht. Gott braucht nicht Kinder, die Hilfe schreiend, oft sogar nörgelnd und zwängelnd an seiner Schürze hängen und ihm dauernd im Wege stehen und dreinreden – euer Vater im Himmel weiss doch, was ihr nötig habt, bevor ihr ihn darum bittet (Matthäus 6,8). Was Gott in seiner Ohnmacht braucht, sind viel eher Freundinnen und Freunde, die zu ihm stehen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die ihm zu Hilfe kommen, erwachsene Söhne und Töchter, auf die er sich  verlassen kann – und die ihn auch trösten.

Zu oft vergessen wir, dass Gott die Welt mit ihren Kriegen, mit ihrem Hunger, mit ihren Bedrohungen nicht einfach »herrlich regieret«, wenn wir ihn nur darum bitten; er hat die Welt uns und unserer Verantwortung anvertraut.

Hermann-Josef Venetz


samedi 11 août 2012

Unser Gott Mammon



Was uns unbedingt angeht ist eine Wendung, die im letzten Jahrhundert Theologen ins Spiel brachten, als sie versuchten, über Gott nachzudenken.
Wenn wir heute nach dem fragen, was uns unbedingt angeht, werfen wir am besten einen Blick auf unsere Medien. Alle Nachrichten, die wir über Radio und Fernsehen und Internet x-mal am Tag zu hören und zu sehen bekommen, reden davon, von dem, was uns unbedingt angeht, von dem, was uns umtreibt und in Atem hält, eben von Gott: von den Börsenkursen,  von den Milliarden, die verloren gegangen sind und den Billionen, die zur Rettung und Neuerstarkung der Finanzplätze benötigt werden.
Das Gebaren des freien Marktes und die unsichtbare Hand des Gottes Mammon mag uns zwar ab und zu unberechenbar und unverständlich, ja brutal erscheinen, doch muss man bedenken: Jeder Gott hat eine gewisse Unberechenbarkeit, jede Religion hat ihre Geheimnisse und verlangt entsprechende Opfer.
Für Gott muss man eben bereit sein, alles herzugeben, auch das, was uns wichtig ist und unser Überleben sicherstellt: die sozialen Errungenschaften, den Klimaschutz, den weltweiten Einsatz für die Hungernden, die Entwicklungshilfe… Aber angesichts des Gottes Mammon ist all das höchstens zweit- und drittrangig. Suchet zuerst ein gut funktionierendes Finanzwesen, und alles andere wird euch hinzugegeben werden.
Mag sein, dass dieser Glaube in letzter Zeit etwas in die Krise geraten ist, aber auch das gehört zum Glauben und zu jeder Religion. Die Welt hat immer wieder aus der Krise herausgefunden und sie wird auch aus dieser Krise herausfinden, wenn sie dem Mammon freie Hand lässt, wenn sie sich dem, was uns unbedingt angeht, ganz öffnet.
Vielleicht sollten wir über Gott einmal gründlich nachdenken.
Hermann-Josef Venetz

samedi 4 août 2012

Ein Herz Fuer die Armen


Ein Herz für die Armen

Es stimmt: Jesus war beim reichen Oberzöllner Zachäus zu Gast, er zählte die wohlhabende Familie des Lazarus zu seinen Freunden, er liess sich mit kostbarer Narde salben...

Das bedeutet aber nicht, dass er der sozialen Situation der einzelnen und des ganzen Volkes gleichgültig gegenüberstand; denn all das hat mit dem Reich Gottes, das er verkündete, sehr wohl etwas zu tun – und mit dem Glauben, zu dem er einlud.

Jesus wusste sich an erster Stelle zur verarmten Bevölkerung gesandt. Von dieser Sendung war auch seine Wahrnehmung geschärft: Er sah den arbeitslosen Mann mit der gelähmten Hand, er sah die gekrümmte Frau, er hörte die Schreie des blinden Bartimäus, er spürte, als die Frau, die seit zwölf Jahren an Blutungen litt, den Saum seines Kleides berührte...

In seiner Sendung zu den Armen sah sich Jesus getragen vom Gott Israels, der sich durch die Gesetze und die Propheten immer wieder zu Wort meldet als Gott der Witwen und Waisen, als Gott der Verschuldeten und Verfolgten. Nicht weil diese moralisch besser wären, sondern weil sein Herz an erster Stelle für sie schlägt.

Ich weiss nicht, wo Lukas den Wehe-Ruf gegen die Reichen gefunden hat. In den anderen Evangelien steht er so nicht. Wehe den Reichen! – nicht weil sie moralisch schlechter wären als die Armen, sondern weil sie Gefahr laufen, ausser ihrem Reichtum nichts mehr zu sehen, weder das Elend der Hungernden noch die Ausweglosigkeit der Arbeitslosen, weder das Joch der Asylanten noch die Leere derer, die nicht dabei sein können noch die verfehlten Wirtschaftsstrukturen.

Wenn wir bei all unseren Entscheidungen – auch und gerade bei unseren politischen Entscheidungen – zuallererst die Armen aufsuchen und uns ihre Augen und ihre Ohren leihen würden, ich bin überzeugt, viele Gesetze fielen ganz anders aus…

und der Gott Jesu – und mit ihm die Armen – könnten auch hierzulande zum Zuge kommen.
Hermann-Josef Venetz