samedi 9 novembre 2013

Karriere nach unten


Wer Karriere machen will, möchte nach oben. Hoch hinaus. Andere überrunden. Besser und bedeutender sein als die anderen Der Karriere opfern wir viel, für sie investieren und tun wir alles. Unsere Bildung ist auf Karriere ausgerichtet. Die Fächer, die die Schule anbietet, haben vor allem die Karriere der Zöglinge im Blick. Ohne Englisch keine Karriere. Ohne akademischen Abschluss keine Karriere. Ohne Beziehungen keine Karriere.
Ein wichtiger Blickpunkt der Karriere ist das Mehr: mehr Geld, mehr Einfluss, grösseres Prestige, höherer Status.

In den 50-er Jahren des ersten Jahrhunderts gab es im östlichen Griechenland die römische Militärkolonie Philippi, eine richtige Karrierestadt im Sinne Roms. Jeder und jede versuchte nach oben zu kommen. In dieser Stadt gründete Paulus eine christliche Gemeinde, die erste auf europäischem Boden. Wenige Jahre später musste Paulus feststellen, dass es hier nicht anders zu- und hergeht als in der polis, in der Stadt. Die Mechanismen des Zusammenlebens blieben die gleichen: Leute, die nichts anderes als ihre Karriere im Sinn hatten, kämpften um Posten und Pöstchen, um Ämter und Ämtchen; Klüngelei und Vetternwirtschaft gingen Hand in Hand mit Rücksichtslosigkeit, Eifersüchteleien, Neid und Argwohn …

In seinem Brief an die christliche Gemeinde in Philippi ruft Paulus den Leuten einen alten Christus-Hymnus in Erinnerung, der gewissermassen die Grundlage des Glaubens und das Grundmuster christlicher Existenz war und das Mass an Jesus, dem Messias nahm:

Er war in allem Gott gleich,
und doch hielt er nicht gierig daran fest,
so wie Gott zu sein.
Er gab alle seine Vorrechte auf
und wurde einem Sklaven gleich.
Er wurde ein Mensch in dieser Welt
und teilte das Leben der Menschen.
Im Hören auf Gott erniedrigte er sich so tief,
dass er sogar den Tod auf sich nahm,
ja, den Verbrechertod am Kreuz.
Darum hat Gott seine ‚Karriere’ dadurch vollendet,
dass er ihm seinen eigenen Namen und seine eigene Würde gab.
Und alle Menschen sollen in ihm das Modell ihres eigenen Lebens sehen und feierlich bekennen:
»Jesus Christus ist der HERR!« – zur Ehre Gottes des Vaters.

In der damaligen Zeit war HERR der Titel des römischen Kaisers. Für Christinnen und Christen war HERR – wie im griechischen Alten Testament – der unaussprechliche Name für GOTT.

Die Karriere, die Jesus im Hymnus angetreten hat und im Hymnus besungen wird, ist letztendlich die Karriere Gottes.

Hermann-Josef Venetz

samedi 2 novembre 2013

Gott verzeihen?




 Neulich las ich irgendwo diesen überraschenden Satz:
Stilvoll leben heisst, verzeihen können:
den Mitmenschen,
sich selber,
Gott.

Klingt beim ersten Hören gut. Und doch...

Beim Wort ‚verzeihen’ denken wir daran, wie sehr wir selber Verzeihung nötig haben und Gott und einander immer wieder um Verzeihung bitten müssen. Von Gott wissen wir, dass er sich in der Bibel wiederholt vorstellt als der grosse Verzeihende, „gnädig, barmherzig, langmütig, voll Huld und Treue“ (vgl. Ex 34,6-7). 
 
Jesus stellt seinen Jüngerinnen und Jüngern diesen Gott als Vorbild hin: Seid barmherzig, wie es auch euer Vater ist!“ (Lk 6,36) Damit gibt er auch das Mass der Barmherzigkeit an, mit der wir einander begegnen sollen.  
Nach dem oben zitierten überraschenden Satz gehört zum stilvollen Leben auch die Kunst, sich selbst zu verzeihen. Ob das unter Umständen nicht noch schwieriger ist? Es geht dabei nicht um Bagatellen, durch die wir uns vor anderen blamierten und auch nicht darum, dass wir enttäuscht sind, wenn wir den Erwartungen, die wir gegenüber uns selbst haben, nicht gerecht werden. Entscheidend ist, dass wir zu den eigenen Fehlern und zum eigenen sündhaften Ich stehen. Es geht um ein echtes Barmherzigsein uns selbst gegenüber: dass wir uns so annehmen, wie wir sind und dass wir uns selbst die Chance einräumen, von neuem zu beginnen. Dass wir mit uns so umgehen, wie Gott mit uns umgeht: „gnädig, barmherzig, langmütig, voll Huld und Treue“.

Aber ist es möglich oder sinnvoll oder überhaupt denkbar, dass wir Gott verzeihen? Es ist doch so, dass wir oft und oft, zu Recht oder zu Unrecht, ausgesprochen oder unausgesprochen für die ganze Misere in der Welt Gott verantwortlich machen und ihn als den Schuldigen hinstellen. Für die Erdbeben, die Hungersnöte, das schreckliche Leiden so vieler Menschen muss doch jemand die Verantwortung übernehmen. Und wer sollte es denn sein, wenn nicht Gott? Menschen sind zu so viel Ungerechtigkeit und so viel Zerstörung gar nicht fähig – so meinen wir.

Vielleicht sind diese Gedanken völlig abwegig wie so vieles abwegig ist, was wir über Gott denken. Aber spielen wir doch mal diesen Gedanken durch: Gott verzeihen. Hiesse das dann nicht, dass wir ihn trotz aller ‚Fehler’ und ‚Schwächen’ so annehmen, wie er ist; dass wir ihm die Chance einräumen, immer wieder von neuem zu beginnen; dass wir mit ihm so umgehen, wie er mit uns umgeht: „gnädig, barmherzig, langmütig, voll Huld und Treue“?

 Hermann-Josef Venetz