vendredi 21 novembre 2014

Nur eine Revolution der Herzen?

Das Besondere der christlichen Ethik sei die ‚Revolution der Herzen’, so las ich neulich in einem Artikel.


Gewiss hatte und hat das Christentum einen bedeutenden ethischen Anspruch sowohl für die damalige wie auch für die heutige Zeit. Nicht vergessen sollten wir, dass die christliche Ethik ohne das Alte Testament und das Judentum nicht denkbar ist. Man kann sogar sagen: viel ‚Neues’ hat die christliche Ethik im Vergleich zum Judentum nicht gebracht. Liebeskommunismus, Sorge für Witwen und Waisen, Armenfürsorge, Schuldenerlass, Feindesliebe usw. sind Visionen, die das Christentum im Wesentlichen dem Judentum verdankt. Und weder im Judentum noch im Christentum hatten diese Visionen eine ‚Revolution der Herzen’ im Sinn. Das Judentum schon gar nicht; da machte man Nägel mit Köpfen: Gesetze zur Tierhaltung, zur Ent-Schuldung, zum Asylwesen, zur Armenfürsorge und vieles mehr sollten nicht nur die Herzen, sondern die Gesellschaft als solche verändern.

Christen und Christinnen sind in der damaligen (und heutigen) Welt nicht dadurch aufgefallen oder angeeckt, dass sie im Unterschied  zur Umwelt eine ‚höhere Ethik’ verkündet haben. Anstossend war (und ist) das Bekenntnis zum gekreuzigten Jesus als dem Messias und Gottessohn. Das viel zitierte Wort Was ihr dem geringsten meiner Brüder und Schwestern getan habt, das habt ihr mir getan (Matthäus 25,40) provoziert nicht als ethische Forderung. Skandalös ist bei diesem Wort die Tatsache, dass sich der Menschensohn und König und Richter mit den Geringsten identifiziert, d.h. mit den Hungernden und Gefangenen, mit den Kranken und Fremden – und wir könnten weiterfahren: mit den Asylanten und Flüchtlingen, mit den Arbeitslosen und Ausgegrenzten. Das Bekenntnis zu Jesus als dem Messias und Gottessohn ereignet sich nicht ‚im stillen Kämmerlein’, sondern ist ein eminent politisches Geschehen. Darum waren und sind es auch hauptsächlich die politischen und religiösen Machthaber, die diesen Jesus und seine Gefolgsleute weghaben wollten. Das Bekenntnis zu Jesus und seiner Praxis passt in keines der bestehenden politischen Systeme und auch in keines der politischen Parteiprogramme.

Hermann-Josef Venetz