Jedes
Mal, wenn ich das Glaubensbekenntnis spreche, gerate ich bei diesem
Satz ins Stocken. Wie soll ich ihn verstehen? Soll ich mir dieses
Kommen herbeisehnen – oder müsste ich es nicht eher fürchten?
Werde ich vor dem kommenden Richter bestehen?
Biblische
Bilder tauchen auf vom kommenden Richter, der die Völker
zusammenrufen und die »Böcke« von den »Schafen« scheiden wird
(Mt 25,31-46), wobei die einen das Reich in Besitz nehmen, die
anderen hingegen in das ewige Feuer geworfen werden.
Die
Darstellungen des Jüngsten Gerichts, wie wir sie in manchen
Gotteshäusern finden, helfen dabei nicht. Zu tief haben sich die
Bilder der Verdammten, die in die Hölle hinabstürzen, in unser
Innerstes eingebrannt. Ich will diese Vorstellungen, die im
Volksglauben fest verankert sind, nicht einfach über Bord werfen.
Aber es gibt auch noch andere Möglichkeiten, das Wort vom »Richten«
zu verstehen.
Nach
Vorstellungen, wie wir sie unter anderem auch in der Bibel antreffen,
ist der Richter an erster Stelle nicht derjenige, der nach genauer
Buchführung die Menschen belohnt oder bestraft, sondern vor allem
derjenige, der Menschen, die Unrecht erleiden, ins Recht setzt.
Das ist das, worum zum Beispiel in den Psalmen die ungerecht
Verfolgten bitten: dass Gott vor aller Welt deutlich macht, auf
welcher Seite er steht, und dass den Erpressern, den Blutsaugern ganz
klar gesagt wird, dass sie auf die falsche Karte setzen und sich vor
aller Welt schämen müssen.
Nicht
um Belohnung und Bestrafung geht es also an erster Stelle, sondern
darum, dass das Richtige, das Recht sich durchsetzt und ans
Licht kommt und dass diejenigen, die das ganze Leben lang ihrer Treue
wegen unten durch mussten, aufgerichtet, rehabilitiert werden.
Das
Bild vom kommenden Richter will den Menschen nicht Angst machen; im
Gegenteil! Es ist ein Bild der Hoffnung und Befreiung für
diejenigen, die Unrecht erleiden; sie sollen Recht bekommen.
Und zwar nicht erst im ‚Jenseits’. Der Kommende, der die
Rechtlosen ins Recht setzt, gibt ihnen jetzt schon eine Stimme. Sie
sind nicht länger nur Opfer, sondern jetzt schon Subjekt der eigenen
Geschichte.
Das
heisst aber auch für uns, dass wir uns nicht mehr abfinden mit
Ungerechtigkeit und Gewalt, mit Unrecht und Unterdrückung, sondern
beharrlich darauf bestehen, dass es etwas anderes geben muss. So wird
die Vorstellung von diesem Kommenden gleichzeitig zum Bild der
Hoffnung: Dass dieses »andere«, die Gerechtigkeit und die Liebe und
der Frieden hier und jetzt, mitten unter uns, bereits greifbar wird.
Hermann-Josef
Venetz