samedi 30 mars 2013

 

Gott bin ich und kein Mann

So spricht der Ewige: Als Israel jung war, gewann ich es lieb und führte es als meinen Sohn aus Ägypten heraus. Aber sie liefen von mir weg. Immer wieder schickte ich Propheten zu ihnen, die sie zurückrufen sollten. Aber sie wollten nicht. Sie opferten lieber Göttern, die sie sich selbst gemacht haben, dem Baal und dem Mammon. Dabei habe ich sie doch gehen gelehrt, auf meinen Armen getragen und sie wie Säuglinge an meine Wangen gehoben. Mit Banden der Güte zog ich sie an mich. Aber sie erkannten nicht, wie innig ich sie liebte, wie sehr ich mich um sie kümmerte. Sie wandten sich ab und riefen zu Baal. Als ob dieser ihnen helfen könnte! Mein Volk ist mir untreu geworden.
Und doch: Wie könnte ich dich, Israel, im Stich lassen? Wie könnte ich dich vernichten? Schon der Gedanke daran bricht mir das Herz und ich empfinde tiefstes Mitleid mit dir. Denn ich bin Gott und kein Mann. Ich, der Heilige, komme um dich zu retten. Und eines Tages wirst du mir nachfolgen und ich werde dich zurück in deine Heimat führen.
(nach Hosea 11,1 –7)

Gott liegt mit sich selbst im Streit. Wehmütig und enttäuscht zählt er all das auf, was er für sein Volk getan hat: Er hat es lieb gewonnen, hat es aus dem Sklavenhaus befreit, hat es auf Armen getragen und sich um es gekümmert, aber es wandte sich von ihm ab und wollte nichts von ihm wissen. Sollte er nicht Gleiches mit Gleichem vergelten? Sollte er es nicht im Stich lassen? Sollte er seinem berechtigen Zorn nicht freien Lauf lassen?
Er kann es nicht. Es würde ihm das Herz brechen. Es würde ihm aber auch gar nicht entsprechen. Rache, Vergeltung, Zorn – das alles ist Männersache. Gott ist anders.

Hermann-Josef Venetz

samedi 23 mars 2013


Wiederkehr der Religion?

 Diese Frage wird in letzter Zeit oft und heiss diskutiert. Die einen freuen sich, andere ängstigen sich, den meisten ist es egal.

Der Begriff »Religion« ist mehrdeutig, wie denn auch ihr Bezugspunkt, »Gott«, mehrdeutig ist.

Mit »Gott« verband und verbindet sich seit jeher Allmacht und Stärke und Überlegenheit. Wenn Gott nicht Wunder wirken und das Böse nicht aus der Welt schaffen kann – wozu sollte er denn gut sein?

Wer einen solchen »Gott« verehrt, wird auch wie dieser mächtig, stark und anderen überlegen sein wollen. Der Konkurrenzkampf unter den Menschen verschärft sich. Auf der Strecke bleiben einmal mehr die Schwachen, die Nichtsnutze.

Wenn »Religion« diesen »Gott« meint, dann möchte ich nicht, dass sie wiederkehrt.

Die Bibel spricht von einem ganz anderen Gott.  Nicht als Allmächtiger, Starker und Überlegener stellt er sich vor, sondern als Jener, dem das Elend seines Volkes in ägyptischer Knechtschaft zu Herzen geht, der sich berühren lässt, der mit-leidet, der Partei ergreift für die Gequälten, für die Unterdrückten. Ein liebender Gott ist er und darum auch verletzlich und ohnmächtig. Ein Gott, der die Menschen um Hilfe bittet: Und jetzt geh! – sagt er zu Mose, führe mein Volk aus Ägypten heraus!... Ich werde mit dir sein. (Exodus 3,1-12)

Wenn »Religion« diesen Gott meint, dann sehne ich mich danach – und möchte mein Bestes geben.

Hermann-Josef Venetz

samedi 16 mars 2013

Erinnerung an eine grosse Vergangenheit




Jesus hat nicht einen Fan-Club gegründet. Er hat Männer und Frauen in Pflicht genommen, die er an seinem Auftrag und an seinem Charisma teilnehmen liess. Sie sollten wie er das Kommen Gottes ankünden d.h. Menschen von allen möglichen Zwängen und Ängsten befreien, Kranke heilen und den Abgeschriebenen ihre Geschichte, ihre Sprache und ihren Namen zurückgeben. Wir kennen eine ganze Anzahl dieser Beauftragten mit Namen: Simon, Maria von Magdala, Andreas, Susanna, Johannes und viele andere mehr (Lukas 8,1-3). 
In einem besonderen Berufungsakt bestellte Jesus aus dieser Schar zwölf Männer. Im Neuen Testament heissen sie einfach die Zwölf. Ihr Auftrag unterschied sich kaum von dem der genannten Frauen und Männer. Ihre Bedeutung bestand in der symbolischen Kraft ihrer Erwählung: Sie sollten das Zwölf-Stämme-Volk Israel repräsentieren, ging es doch Jesus vordringlich darum, das ganze Volk Israel zu sammeln.
Die Zwölf sollten also nicht nur an Israel, sondern ausdrücklich an das Zwölf-Stämme-Volk erinnern. Es war zugleich die Erinnerung an eine grosse Vergangenheit, d.h. an eine Zeit, in der Israel (noch) nicht von Königen und Tempelpriestern regiert wurde, sondern selbst ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk war. So teilte es Gott dem Mose am Sinai mit (Exodus 19,6). Es war die Zeit, in der das Wort im Umlauf war, das wir bei Seherinnen und Propheten finden: „Gott ist König“ – Er allein (Psalm 47,8).
Wie ernst es Jesus bei dieser Erinnerung an die grosse Vergangenheit war, zeigen die Weisungen, die er den von ihm beauftragten Männern und Frauen mit auf den Weg gab:
Ihr wißt: die Herrscher der Völker unterdrücken ihre Leute und lassen sie ihre Macht spüren und kommen sich besser vor als andere. Bei euch soll es nicht so sein... (Markus 10,42f)
Die Erwählung der Zwölf als Erinnerung an die grosse Vergangenheit Israels eignet sich so weder für die Begründung eines wie immer gearteten Patriarchats noch für die Begründung einer wie immer gestalteten Hierarchie. Im Gegenteil: Alle sind zu Priesterinnen und Königen bestimmt. Das Neue Testament scheut sich nicht, wiederholt auf diesem Zuspruch zu insistieren, der ausnahmslos allen Christus-Gläubigen gilt:
Ihr seid ein auserwähltes Geschlecht, eine königliche Priesterschaft, ein heiliger Stamm, ein Volk, das Gottes besonderes Eigentum wurde... (1. Petrusbrief 2,9; Offenbarung 1,6)
Was Kirche Jesu Christi sein will, hat sich auch an diesem Zuspruch zu messen.
Nur  schade, dass man(n) davon nicht so gern spricht.
 Hermann-Josef Venetz

samedi 9 mars 2013





Die Vision des Menschensohns (Dan 7)
Eine der eindrücklichsten Visionen, die uns das Buch Daniel schildert, ist die des Menschensohns. Das Volk der Juden befand sich in einer sehr schlimmen Lage – es war die Zeit der Verfolgung durch Alexander IV. Epiphanes (175-164 v. Chr.). Die Geschichte Gottes mit seinem Volk schien zu Ende zu gehen. Und doch gab der Seher Daniel seine Hoffnung nicht auf. Was seine Glaubensbrüder und –schwestern bereits alles erlebt hatten, erschien ihm in Gestalt von vier schrecklichen Tieren, die eines nach dem anderen aus dem Meer, dem Ort des Unheils gekommen waren. Die vier Tiere waren Sinnbilder der menschenverachtenden Regime, unter denen die Frommen zu leiden hatten: das babylonische, das medische, das persische Reich und das des Alexanders des Grossen. Im weiteren Verlauf der Vision hält Gott über diese Reiche Gericht. Denn wenn Gott zu seinem Wort steht – und darüber durfte es keinen Zweifel geben – dann wird er diese Reiche in die Ecke stellen und so sein Volk erretten.
Im nächsten Akt sah Daniel in seiner Vision eine lichte Gestalt vom Himmel her kommen wie ein Menschensohn. Ihm wurden Herrschaft, Würde und Königtum gegeben; alle Völker, Nationen und Sprachen sollten ihm dienen… (vgl. Dan 7,13-14)
So viel dürfte klar sein: So wie die vier Tiere aus dem Meer vier Reiche versinnbildlichten, so geht es auch bei ihrem Gegenüber, dem Menschensohn, zuerst einmal um ein Reich. Im Unterschied zu den grossen Tieren aus dem dunklen Meer handelt es sich jetzt um eine lichte, menschliche Gestalt, als Zeichen eines lichten, menschlichen Umgangs der Menschen miteinander. Der Menschensohn also als Zeichen für die Treue und Menschenfreundlichkeit Gottes, der das Dunkle und Menschenverachtende überwinden und dem Hellen, der Menschenwürde zum Sieg verhelfen wird.
Als fast 200 Jahre später Jesus in Galiläa auftrat, erinnerten sich seine Jüngerinnen und Jünger an Daniels Vision. Sie sahen in Jesus jenen Menschensohn, der inmitten einer Welt von Gewalt und Hass ein ganz anderes „Regime“, nämlich das Reich Gottes ankündigte und praktizierte.
Hermann-Josef Venetz

samedi 2 mars 2013

Nur Kinder...?



                                                       Bild: Fr Maximino Cerezo Barredo

  Wieder einmal stritten die Jünger unter sich, wer von ihnen der Grösste sei.
Der Streit und das Wetteifern um den ersten Rang – wo auch immer – ist so alt wie die Menschheit. Die Antwort Jesu verband sich mit einer Art Zeichenhandlung:

 Er stellte ein Kind in ihre Mitte, nahm es in seine Arme und sagte zu ihnen: Wer ein solches Kind um meinetwillen aufnimmt, der nimmt mich auf; wer aber mich aufnimmt, der nimmt nicht nur mich auf, sondern den, der mich gesandt hat (Mk 9,33–37).

Unsere Vorstellungen von Kindern sind von der Romantik geprägt: Sie sind herzig, unschuldig, lustig, offen… Für sie tut man alles. Zur Zeit Jesu wurden sie im gleichen Atemzug mit den Frauen und Sklaven aufgezählt: Frauen, Kinder, Fremde – sie waren eben die Letzten in der gesellschaftlichen Rangordnung. Wir wissen aus Berichten, aber auch aus der damaligen Gesetzgebung, dass Kinder abgetrieben, ausgesetzt, geschlagen, getötet wurden. Eines dieser Kinder, dieser Letzten, stellt Jesus in die Mitte und umarmt es. Ja mehr noch: Jesus identifiziert sich mit ihm: Wer ein solches Kind … aufnimmt, der nimmt mich auf. Ja mehr noch: Wer ein solches Kind…aufnimmt, der nimmt auch den auf, der mich gesandt hat, das heisst Gott, den Vater.

Im gleichern Markusevangelium lesen wir wenig später:
Nur wer Gottes Reich aufnimmt wie ein Kind, wird dort hineingelangen (Mk 10,15).

Dieses Wort ist auch im Griechischen doppeldeutig:
- Man soll das Reich Gottes so aufnehmen, wie ein Kind es aufnimmt, das heisst offen, ohne Argwohn und voll Vertrauen.
  • Oder so: Man soll das Reich Gottes so aufnehmen, wie man ein Kind aufnimmt. Das würde heissen: Es sind die Letzten, nichtsnutzen Kinder, bei denen das Reich Gottes zu suchen und zu finden ist.
Frauen, Kinder, Sklaven, Fremde, die Letzten – sind sie vielleicht der »Ort« Gottes?

Hermann-Josef Venetz