dimanche 29 juillet 2012

Die Letzte Instanz




Das Gleichnis vom »Letzten Gericht« (Matthäus 25,31-46) erinnert uns daran, dass wir alle einmal vor der Letzten Instanz zu erscheinen haben. In der Einleitung des Gleichnisses wird diese Letzte Instanz Menschensohn und König genannt. Mit König verbindet unsere Fantasie Thron, Glanz und Majestät. Was uns allerdings im Verlauf der königlichen Rede entgegentritt, sind ganz andere Majestäten, als wir sie uns vorstellen: Scharen von Hungernden, Fremden, Gefangenen, Asylanten, Zerlumpten.

»Nicht euch haben wir gemeint«, so protestieren wir, »wir wollen vor seine Majestät gebracht werden; nur den König akzeptieren wir als Letzte Instanz!« Und die Stimme seiner Majestät wird antworten: »Es gibt keine andere Instanz, keine andere Majestät neben oder hinter diesen Hungernden, Fremden, Gefangenen, Asylanten, Zerlumpten; denn was ihr ihnen getan habt, das habt ihr mir getan, und was ihr ihnen nicht getan habt, das habt ihr mir nicht getan.«

***

An die Letzte Instanz möchten wir aber einmal auch aus eigenem Antrieb gelangen, und wir werden uns weder von Hungernden noch von Fremden abwimmeln lassen. Diesmal soll sich Gott um seine Rolle als Letzte Instanz nicht mehr drücken können. Unsere Vorwürfe werden laut und deutlich sein: »Wo warst du denn in Auschwitz und in Nagasaki? Wo warst du, als der Tsunami vielen tausend unschuldigen Menschen das Leben nahm? Wo warst du bei den unzähligen Erdbeben und Überschwemmungen und Hungersnöten? Wozu heisst du denn der Allmächtige

Und wieder wird uns eine ganz andere Majestät begegnen: ein Zerschundener. Als einziges Zeichen seiner Macht trägt er eine Dornenkrone, weil er nicht allmächtig, sondern solidarisch sein will mit all den Zerschundenen, Hungernden, Fremden. Vielleicht blickt er uns nur schweigend an. Vielleicht hören wir ihn nur leise sagen: »Und du?, wo bist denn du?«

Hermann-Josef Venetz

Das Brot der Satten



 An den Sonntagen nach Ostern wird in manchen unserer Gemeinden erste heilige Kommunion gefeiert. Für viele der Kleinen »der schönste Tag des Lebens«. Für viele Erwachsene ein Tag der Nostalgie und des schlechten Gewissens. Sie erinnern sich an die Zeiten ihrer Jugend mit dem unverbrauchten, unschuldigen Glauben, zu dem sie heute – wie sie meinen – nicht mehr fähig sind.
Sie sollen sich von ihren Zweifeln nicht entmutigen lassen.

Zur Kommunion gehören auch die wunderschönen Geschichten, die bei den Gottesdiensten erzählt werden. Vom Volk in der Wüste, das in seinem Hunger mit Manna gespeist wurde. Von der armen Witwe in Sarepta, zu der der Prophet geschickt wurde, um sie vom Hungertod zu bewahren. Von der Entschiedenheit der Gesetzgeber, für die das grösste Verbrechen darin bestand, dass die Reichen den Armen das Brot vorenthalten. Von Jesus von Nazaret, der nicht gekommen ist, damit man ihn verehre, sondern damit er sein Leben teile mit den Hungernden und Aussätzigen und Verachteten und Zweifelnden.

Vor seinem Leiden und Sterben – gewissermassen als Testament – hielt er mit den Seinen Mahl. Er nahm das Brot, dankte Gott, brach das Brot und reichte es ihnen… Seither ist das Brotbrechen, das Teilen des Brotes, das bedeutendste Merkmal der Anhängerinnen und Anhänger des Messias Jesus. Zeichen auch für das Kommen Gottes.

Nicht zur Verehrung ist uns das Brot gegeben, sondern zur Nahrung – und zum Teilen mit denen, die Hunger haben. Nicht die Wandlung des Brotes steht im Mittelpunkt, sondern die Wandlung unseres Lebens, die Wandlung unserer Gesellschaft. Nicht in der Hostie werden wir Gott finden, sondern in der Solidarität mit den Ärmsten. Diesen Weg des Teilens müssen wir jeden Tag von neuem unter die Füsse nehmen. Es ist der Weg in die Freiheit – für die Hungernden und zugleich für uns, die Satten.

Hermann-Josef Venetz

samedi 7 juillet 2012

Ein Plädoyer für die Unverschämtheit




Gerade zweimal werden im Lukasevangelium unverschämte Leute als Beispiele hingestellt. Das eine Mal ist es ein Mann, der mitten in der Nacht seinen Freund weckte, um von ihm ein Brot zu borgen. Gewiss hätte der Aufgeweckte den Störefried am liebsten ins Pfefferland gewünscht. Er stand dann aber doch auf und gab ihm, was er brauchte. Nicht wegen der Freundschaft, die er empfand, sondern wegen der Unverschämtheit, mit der ihn dieser mitten in der Nacht aufweckte (Lukas 11,5-8).

Das andere Mal handelt es sich um eine Witwe, die sich von den Gläubigern ihres verstorbenen Mannes bedrängt sah. Sie suchte einen Richter auf, damit er ihr helfe. Der Richter, ein recht kaltblütiger Bursche, schickte die Frau weg. Sie kam aber wieder und wieder, bis es dem Richter zuviel wurde. Zwar kümmerte er sich nicht um sein Ansehen und fürchtete weder Gott noch den Teufel. Aber die Unverschämtheit dieser Frau liess ihn schliesslich doch dazu bewegen, ihre Sache an die Hand zu nehmen (Lukas 18,1-8).

Jesus ist der Überzeugung: Wenn das, was wir von Gott erbitten, in Übereinstimmung ist mit dem, wofür sich dieser Gott selbst mit seiner ganzen liebenden Leidenschaftlichkeit einsetzt – für die Armen und Hilfsbedürftigen, für die Abgeschobenen und Entrechteten –, dann dürfen wir auch unsere eigene Leidenschaftlichkeit, ja sogar unsere Unverschämtheit in die Waagschale werfen. In spiel bringen riskieren....

Hermann-Josef Venetz