mercredi 17 décembre 2014




Sonst gar nichts

Hugo Lötscher, ein bedeutender Schweizer Schriftsteller (1929-2009), wurde am Schluss seines letzten Interviews vom Journalisten gefragt:
 »Wie zuversichtlich sind Sie für die Zukunft?«
 Er antwortete:
»Ich habe meine Religion verloren, ich habe keinen Himmel, ich habe kein Nachher. Mir bleibt gar nichts anderes übrig, als diese Welt gern zu haben. Sonst habe ich gar nichts mehr.«

Viele mögen ob einer solchen Antwort überrascht, wenn nicht sogar enttäuscht sein. Hugo Lötscher hat nicht nur ein reiches schriftstellerisches Schaffen hinterlassen, wurde mit zahlreichen Preisen geehrt und hatte an bedeutenden Universitäten Europas, der USA, Lateinamerikas und Chinas gelehrt – man würde von ihm doch Gewichtigeres,  Bedeutenderes und Eindrücklicheres erwarten.

Dieser Meinung bin ich nicht. Wenn man bedenkt, was man unter ‚Religion’ alles verstehen kann, wie banal sich Menschen den ‚Himmel’ vorstellen und wie schrecklich das ‚Nachher’ aussehen kann… Es gibt nur etwas, das sowohl die Religion wie auch den Himmel und das Nachher bei weitem überragt: diese Welt gern zu haben. Damit können wir die Welt und uns selbst glücklicher machen.
Und der letzte Satz – sonst habe ich gar nichts mehrhat dann nicht mehr einen traurigen, sondern einen höchst befreienden Klang.

Hermann-Josef Venetz


mardi 16 décembre 2014

Warum?

 Lanzo Del Vasto
An die 20 mal steht im alttestamentlichen Psalterium, dem Gebetsbuch der Kirche, der fragende Ruf oder Aufschrei zu Gott: Warum..? Hier einige Beispiele:
Warum bleibst du so fern, verbirgst dich in Zeiten der Not? (Ps 10,1)
Warum hast du mich vergessen? (42,10)
Warum hast du mich verstossen? (43,2)
Warum verbirgst du dein Gesicht, vergisst unsere Not und Bedrängnis? (44,25)
Warum fragen wir, wenn etwas geschieht oder jemand etwas tut, das wir nicht erwarten, das wir nicht verstehen und uns ratlos und enttäuscht zurücklässt.
So ist es auch, wenn wir diese Frage betend oder klagend oder schreiend an Gott richten. Dieses Warum macht auch deutlich, dass Gott der ganz Andere ist, der Unfassbare.
Das Psalterium war auch das Gebetbuch Jesu. Ich bin überzeugt: Er hat dieses quälende Warum nicht einfach zur Seite geschoben oder beim Beten übersprungen; er hat sich in dieses Warum selbst hineingegeben. Die Evangelisten Markus und Matthäus scheuten sich nicht, Jesus am Kreuz den Anfang des 22. Psalm rufen zu lassen:
Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? (Markus 15,34; Matthäus 27,46)
Gehört dieses Warum nicht zu unserem Menschsein? Zu unserer Beziehung zu Gott? Und gehört dieses Warum nicht auch zu den Beziehungen der Menschen untereinander?
Wenn alle Ereignisse, jedes Geschehen, jeder Mensch, jede Beziehung  klar und durchsichtig auf der Hand lägen, gäbe es keine Geheimnisse, keine Überraschungen und so auch kein Warum mehr. Die Welt und das Leben wären langweilig. Leben, das langweilig und ohne Überraschungen und ohne Geheimnisse ist, verdient den Namen Leben nicht. Unser Warum muss nicht Ausdruck unserer enttäuschten Erwartungen sein; es kann Ausdruck dafür werden, dass wir aufmerksam, achtsam und offen sein wollen für das, was das Leben mit uns vorhat. Das Warum als Ausdruck einer lebendigen Beziehung.
Hermann-Josef Venetz

lundi 8 décembre 2014

Der Name

 Wir haben oft Mühe, bei Gott zu sein; wir haben keine Zeit, sind zerstreut, immer wieder abgelenkt.
 Bei Gott ist das ganz anders: Es gehört zu seinem Wesen, ganz da und ganz bei uns zu sein. Das war und ist sein Name, mit dem er sich dem Mose am brennenden Dornbusch vorstellt:
Ich bin der Ich-bin-da, ich bin bei dir, ich gehe mit dir.
 Das war und ist nicht eine kleine Episode, eine flüchtige Begegnung, die vor urdenklichen Zeiten stattfand.
Gott fährt in seiner Rede an Mose wie folgt weiter:
So sollst du zu den Israeliten sprechen: Der Ich-bin-da, der Gott eurer Väter, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs, hat mich zu euch gesandt. Dies ist mein Name für alle künftige Zeit und so sollt ihr mich nennen von Geschlecht zu Geschlecht (Exodus 3,14-15).
 Zwei  Dinge sind für mich bemerkenswert und für meinen Glauben tragend:
Wenn der Ewige sich dem Mose vorstellt, gibt er sich den Namen von konkreten Menschen – er hat offensichtlich keine anderen zur Verfügung: Er ist der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, und man könnte fortfahren: der Gott der Sara und der Rebekka und der Hagar, der Gott des Mose und der Mirjam, und weiter: der Gott Samuels und Davids und Jesajas, der Gott Jesu und der Maria und des Petrus und des Johannes, der Gott des Martin Luther King, der Mutter Theresa und des Oscaro Romero... Ja, ohne all diese Menschen kann man sich Gott gar nicht vorstellen und mit Namen nennen.
Und es ist nicht ein Gott auf Distanz, sondern ein Gott, der mit und bei den Menschen ist und mit ihnen geht, auch mit dir und mit mir... Das ist sein Wesen und sein Name.

Hermann-Josef Venetz