samedi 24 novembre 2012

Der Aufstand gegen die Entchristlichung


 »Entchristlicht« sei unser Land, unser Volk, unsere Zeit – so hört man allenthalben klagen:
- es gebe keine Prozessionen mehr;
- in den Familien werde nicht mehr gebetet;
- die Wegkreuze würden verschwinden;
- die Sexualmoral werde unterlaufen;
- den kirchlichen Vorgesetzten werde nicht mehr gehorcht;
- über den Papst werde respektlos gesprochen...
»Entchristlicht« sei unser Land, unser Volk, unsere Zeit; das bedeutet doch, dass Land und Volk und Zeit einmal christlich waren.
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Ja, die gute, alte, ach so christliche Zeit!
Dabei wissen wir doch von unseren Vorfahren:
- dass ledige Frauen, die ein Kind erwarteten, von ihren ach so frommen Familien verstossen wurden und das Dorf verlassen mussten;
- dass sich Bauern während der Sonntagspredigt über den Marktpreis ihrer Kühe einigten;
- dass nach dem abendlichen Gottesdienst die Männer über ihre Ehefrauen herfielen und dass Vergewaltigungen Kavaliersdelikte waren;
- dass ausgerechnet jene »besseren Leute«, die die Kleinen ausnutzten und ihnen den gerechten Lohn vorenthielten – übrigens eine »himmelschreiende Sünde«, wie sie gelernt hatten –, bei Prozessionen den Ehrenplatz hinter dem Allerheiligsten innehatten...
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»Entchristlicht« sei unser Land, unser Volk, unsere Zeit; und allenthalben versucht man zu re-christianisieren, neu-zu-evangelisieren, was ja nicht erst heute wieder nötig wäre, sondern immer schon nottat, nur dass heute mit Prozessionen, feierlichen Gottesdiensten und kirchlichen Grossanlässen über all diese Verlogenheiten nicht mehr hinwegzutäuschen ist.

Neuansätze echter Verchristlichung sehe ich beispielsweise in den verschiedenen Aufständen, die hier und dort geprobt werden:
- der Aufstand gegen die Abzockerei;
- der Aufstand gegen den mörderischen Strassenverkehr;
- der Aufstand gegen die Lohnungleichheiten;
- der Aufstand gegen den Leistungsdruck in Schule und Betrieb;
- der Aufstand gegen ein Wirtschaftssystem, in dem die Reichen immer reicher, die Armen immer ärmer werden;
- der Aufstand gegen die Ausfuhr von Kriegsmaterial…

Der Beispiele gäbe es mehr. Aber wer denkt schon an diese Aufstände, wenn es doch um mehr »Christlichkeit« geht?

Hermann-Josef Venetz

samedi 17 novembre 2012

Krieg ist Sünde



Am 23. August 1990 hat die Welt seit Jahrzehnten wieder einmal zur Einheit gefunden: Einmütig, mit nur zwei Enthaltungen hat der UNO-Sicherheitsrat eine Entschliessung verabschiedet, nach der für die Durchsetzung der Blockade gegen den Irak auch Gewalt angewendet werden dürfe. Schon Wochen zuvor haben die USA, dann auch Grossbritannien, Frankreich und andere Staaten bedeutende Kontingente im Umkreis Iraks zusammengezogen: Kriegsschiffe, Flugzeugträger, atombestückte Raketen, Zehntausende von Soldaten... Die »freie«Welt – auch die »christliche« – klatschte in die Hände.
An Radio und Fernsehen haben wir das alles verfolgt, und wir waren froh zu hören, dass keines der Mitglieder des UNO-Sicherheitsrates dem amerikanischen Vorschlag einen Strich durch die Rechnung machte. Der Staat, der sich gegen eine gewaltsame Blockade zur Wehr gesetzt hätte, wäre mindestens als »unsolidarisch« wenn nicht gar als »hinterhältig« hingestellt worden. – Dabei haben wir vergessen, dass wir mit der Zustimmung zur gewaltsamen Blockade wenigstens indirekt auch tausendfachem Töten zugestimmt haben.
Ich bin weder Diplomat noch Militärwissenschaftler noch Friedensexperte. Und vielleicht ist es wirklich so, dass dem zweifellos »verrückten« Treiben des irakischen Präsidenten nur mit Waffengewalt Einhalt geboten werden konnte. Für uns Christen und Christinnen darf das aber nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Was immer Wirtschaftsexperten, Politiker und Strategen als »unumgänglich« und »einzig möglich« und »alternativlos« hinstellen: Christinnen und Christen werden sich ihre Vision der Gewaltlosigkeit und des weltumfassenden Friedens unter keinen Umständen nehmen lassen. Ihr Glauben und ihr Hoffen bezieht sich ganz wesentlich auch auf dieses Unaufgebbare: im Reich Gottes, das im Messias Jesus bereits angebrochen ist und das in unserem Alltag immer mehr Fuss fassen soll und um dessen endgültiges Kommen wir jeden Tag im Vaterunser beten, darf Gewaltausübung nie ein Mittel politischer Konfliktlösung sein. Jede Gewaltanwendung ist Scheitern an unserer Hoffnung.
Die christliche Tradition nennt das Sünde.
Hermann-Josef Venetz

samedi 10 novembre 2012

Das Kreuz mit Hirten


Es gibt kaum eine Berufsgattung, die von den Propheten sowohl des Ersten wie auch die Neuen Testamentes so sehr aufs Korn genommen werden wie die Hirten. Vergessen wir nicht: Im Alten Orient war Hirte der Ehrenname der Könige, der Notabeln, der Hohenpriester, kurz der Leute, die das Sagen hatten.
Mit den Hirten musste man sich gut stellen; sie standen so oder so am längeren Hebel. Auf sie kam es an, ob die Schafe, d.h. die Leute zu essen hatten, ob sie Arbeit, Wohnung und Aufstiegschancen hatten. Da war es besser, nicht aufzumucken.
Die Propheten standen den Hirten sehr kritisch gegenüber. Schon die Tatsache, dass es so etwas wie Hirten gab, ging ihnen gegen den Strich. Nach ihrem ererbten Glauben gab es nur einen Hirten, und das ist der Ewige; niemand soll sich anmassen, irgend eine Führerrolle übernehmen zu wollen. Die Propheten waren die einzigen, die das Hirten-Spiel durchschauten – dazu waren sie ja Propheten.
Ezechiel, ein Prophet aus dem ausgehenden 6. Jahrhundert v. Chr. sagte es im Namen des Ewigen so:
Weh den Hirten Israels, die nur sich selber weiden.
Müssten die Hirten nicht die Herde weiden?
Ihr trinkt die Milch, nehmt die Wolle für eure Kleidung
und schlachtet die fetten Tiere;
aber die Herde führt ihr nicht auf die Weide.
Die schwachen Tiere stärkt ihr nicht,
die kranken heilt ihr nicht,
die verscheuchten holt ihr nicht zurück…
Die Anklagen gehen weiter. So weit, bis es – wie es scheint – Gott zu bunt wird, und er durch den Propheten sagen lässt:
Jetzt will ich meine Schafe selber suchen
und mich selber um sie kümmern.
Ich hole sie aus der Zerstreuung zurück
und bringe sie auf gute Weide.
Die verlorengegangenen will ich suchen,
die vertriebenen zurückbringen,
die verletzten verbinden…
Ich will ihr Hirt sein und für sie sorgen, wie es recht ist. (Ez 34)
Ich wünschte mir, dass die Hirten – dazu zähle ich nicht nur die Hirten in unseren Kirchen, sondern auch die Gemeindepräsidentinnen, die Staatsräte, die Lehrerinnen, die Professoren, kurz: alle, die meinen, das Sagen zu haben – ein bisschen Abstand nehmen von ihrer Hirten-Rolle, die doch nur eine sehr vorläufige ist. Und dass sie je länger je mehr dem Hirten Raum geben, der allein die Menschen, die dann nicht mehr Schafe sein werden, zum wahren Leben führen wird.

Hermann-Josef Venetz

samedi 3 novembre 2012

Wo sind sie geblieben...?


Es besteht kein Zweifel: In den urchristlichen Gemeinden waren mehr Frauen am Werke als dies während langer Zeit zugegeben wurde. Paulus, dem immer wieder Frauenfeindlichkeit nachgesagt wird, äussert sich im Römerbrief auffallend lobend über Frauen, die christliche Gemeinden leiteten und in ihnen tätig waren (Röm 16). Um nur ein paar von ihnen zu nennen: Phöbe, Priska, Junia, Maria, Tryphäna, Tryphosa, Persis, Julia, die Mutter des Rufus, die Schwester des Nereus und viele andere mehr.
Auch aus den Evangelien hören wir, dass Frauen im Leben Jesu und in den ersten christlichen Gemeinden grosse Bedeutung hatten. Man denke an die Frauen, die Jesus von Galiläa bis nach Jerusalem nachfolgten, d.h. zu seinem Jüngerkreis gehörten und als einzige unter dem Kreuz ausharrten wie Salome und Maria (Mk 15,40-41); man denke auch an die namentlich genannten Frauen,  die die ersten Zeuginnen und Künderinnen der Osterbotschaft waren wie Maria von Magdala (Joh 20).

Bereits zur Zeit des Neuen Testaments, also gegen Ende des 1. Jahrhunderts, wurden (von wem wohl?) Frauen von ihren Posten verdrängt. Im ältesten uns erhaltenen christlichen Glaubensbekenntnis, das schon Paulus vorgefunden hat, werden die Frauen als Zeuginnen des Auferstandenen nicht mehr erwähnt (1 Kor 15). Für die Leitung christlicher Gemeinden werden nur noch Männer als geeignet angesehen, die sich als gute Familienväter und Hausverwalter bewährt haben (1 Tim). Die Frauen haben in den Gemeindeversammlungen zu schweigen (1 Kor 14)... 

Aus einer geschwisterlichen Kirche wurde sehr bald eine Männerkirche. 
Es ist das Verdienst moderner Exegese, die mehr und mehr auch von Frauen betrieben wird, dass heute wiederum vermehrt den befreienden Traditionen der Bibel nachgegangen wird und dass die Mechanismen patriarchaler Vorherrschaft  aufgedeckt und entlarvt werden. Einem solchen Unternehmen kommt kein geringerer als der gewiss unverdächtige Paulus selbst zu Hilfe, der in seinem Brief an die christlichen Gemeinden in Galatien die ganze Sache auf den Punkt bringt:

Im Messias Jesus, d.h. in der christlichen Gemeinde, gibt es nicht mehr Juden und Griechen, Sklaven und Freie, Mann und Frau; denn ihr alle seid einer in Christus.

Mit diesem Wort, ist jeder Diskriminierung aufgrund der Rasse, der sozialen Herkunft und auch des Geschlechts eine klare Absage erteilt.
Es ist müssig, darüber zu diskutieren, ob Paulus hier die konkrete Situation in den christlichen Gemeinden beschreibt oder ob er eine prophetische Vision von Kirche mitteilt. Das Paulus-Wort wird solange ein Pfahl im Fleische der Männer-Kirche sein, als diese sich einer echten Mitbestimmung der Frauen widersetzt.

Sicher ist: auf die Bibel wird man sich heute nicht mehr berufen können, um die Frauen von der vollen Mitverantwortung in der Kirche fernzuhalten.
Hermann-Josef Venetz