mardi 23 juin 2015

Wertschätzung


Auf einer Konferenz der nordamerikanischen Indianer wurde vor Jahren u.a. folgender Text veröffentlicht:
Der Schlüssel, das Leben als ein Ganzes zu betrachten, ist Wertschätzung. Wertschätzung für das Kind, für die Mutter, für das Heim, für die Sippe, für alle Menschen. Wertschätzung für Tiere und Pflanzen, für das Wetter, die Sonne, den Mond, die Sterne für Mutter Erde, und vor allem Wertschätzung für die grosse geistige Kraft, die hinter allem steht und Leben möglich und lohnend macht.
Dieser Text hat es in sich. Die Wertschätzung beginnt beim Kind, geht über Tiere und Pflanzen, Sonne und Sterne bis zur grossen geistigen Kraft, die hinter allem steht und Leben möglich und lohnend macht.
Gerne möchte ich da noch weiter gehen und zu bedenken geben, was Wertschätzung auch noch bedeuten könnte, ist sie doch verbunden mit Respekt, Wohlwollen und Anerkennung und drückt sich aus in Interesse, Aufmerksamkeit, Freundlichkeit, Zugewandtheit.
Konkret,
- dass ich mir Zeit nehme für die Menschen um mich herum,
- dass ich ihnen zuhöre und ihre Nöte und Anliegen zu verstehen und zu teilen versuche,
- dass ich mir von ihnen auch was sagen lasse und für ihre berechtigte Kritik offen bin,
- dass ich sie ernst nehme und bereit bin, auf ihre Vorschläge einzugehen.
So liesse sich noch lange fortfahren.
Wichtig ist mir auch, dass sich meine Wertschätzung nicht nur auf ihre Leistung und ihr Entgegenkommen bezieht, sondern auf die ganze Person, so wie sie ist, ohne von ihr etwas zu erwarten. Wertschätzung in  diesem Sinn könnte tatsächlich der Schlüssel zum Verständnis der Welt und des Lebens sein.
Ob das wenig schöne Wort Wertschätzung nicht dem nahe kommt, was wir – etwas abgedroschen – Liebe nennen?
Hermann-Josef Venetz

mercredi 17 juin 2015

Mensch werden




 An keinem anderen christlichen Fest wird für so viel unnützes Zeug so viel Geld ausgegeben wie an Weihnachten, Geld, das die Obdachlosen und Flüchtlinge so bitter nötig hätten.
Was uns Menschen in unserer Beziehung zu Gott und zu Weihnachten zu schaffen macht, ist die Tatsache, dass Gott Mensch geworden ist. Wenn Gott einfach ‚Gott’ geblieben wäre, wüssten wir, woran wir sind. Dann hätten wir klare Verhältnisse: hier der Mensch – dort ‚Gott’. Diesen ‚Gott’ sind wir durchaus bereit zu verehren, zu ihm zu beten; wir sind bereit, ihm Tempel, Kirchen und Altäre zu bauen und seine Priester zu besolden. Er darf durchaus etwas kosten, dieser ‚Gott’. Bedingung ist freilich diese: dass ‚Gott’ berechenbar bleibt, dass Distanz gewahrt wird, dass wir von unliebsamen Überraschungen verschont bleiben, dass dieser ‚Gott’ sich nicht unversehens in unsere Geschäfte einmischt, sondern dass wir eine ganz klare Trennung haben zwischen Religion und Politik, zwischen Sonntag und Werktag, zwischen Glauben und Geschäft, zwischen gut und bös...
Mit der Menschwerdung hat ‚Gott’ die klare, von uns Menschen gezogene Grenze überschritten; und das Überschreiten klarer Grenzen erzeugt Bedrohung und Angst. Was uns verunsichert, ist nicht ‚Gott’, sondern der Mensch, genauer gesagt der Mensch, mit dem sich dieser Gott identifiziert: der Arme, die Ausgebeutete, der Ohnmächtige, der Flüchtling. Um uns von diesem menschgewordenen, machtlos gewordenen Gott zu schützen, sind uns alle, selbst religiöse Mittel recht, sind wir bereit, selbst Weihnachten, das Fest der Menschwerdung Gottes zu pervertieren.
Der Glaube an die Menschwerdung Gottes ruft nach einer ganz entschiedenen und bedingungslosen Parteinahme für die Schwachen, die Armen, die Zukurzgekommenen, die Verfolgten und Gekreuzigten.
Der Glaube an die Menschwerdung Gottes befreit uns dazu, an die Menschwerdung des Menschen – an unsere eigene Menschwerdung –zu glauben.
Hermann-Josef Venetz

lundi 15 juin 2015

Nur ein Kind

 Segundo Domingo de Mayo

Der Evangelist Lukas erzählt in seinem Evangelium, ein Engel Gottes sei Hirten auf dem Felde erschienen und habe ihnen als grosse Freude mitgeteilt, in der Stadt Davids sei der Retter geboren, der Messias und Herr. Ungefragt habe der Engel ihnen auch ein Zeichen gegeben, woran sie diesen Retter und Herrn erkennen können: nicht ein besonderes Licht oder sonst irgendetwas Faszinierendes. Das Zeichen war dieses: ein Kind, in Windeln gewickelt und in einem Futtertrog liegend (Lukas 2,12). Das heisst, ein schwaches Geschöpf, ein Kind eben, in Windeln gewickelt, wie es solche Tausende gab. Der einzige Unterschied bestand darin, dass das Kind, um das es ging, in einem Futtertrog lag. Ob das aber angesichts der damals schon grassierenden und heute für viele zum Alltag gehörenden Obdach- und Heimatlosigkeit etwas Besonderes war?

Gewiss ist ein Kind, besonders ein neugeborenes, auch immer Zeichen eines Neuanfangs, Zeichen einer neuen Zukunft, einer neuen Hoffnung. Doch ist nicht zu vergessen, dass Kinder auch in der damaligen Zeit keineswegs immer willkommen waren. Bei Geschichtsschreibern und Poeten wurden sie im gleichen Atemzug mit den Sklaven und Frauen aufgezählt: ‚Frauen, Kinder, Sklaven’, so war die Reihenfolge der am untersten Rand der Gesellschaft angesiedelten Menschen.

 Rettung und Zukunft wird es auch 2000 Jahre danach nur geben, wenn Menschen auf dieses Zeichen achten. Überleben werden wir, die Gutsituierten, nur dann, wenn wir solidarisch werden mit dem Kind im Futtertrog, d.h. aber auch mit den Obdach- und Heimatlosen, mit den Hungernden und Ausgegrenzten.

 Hermann-Josef Venetz


dimanche 7 juin 2015

Gott Lassen



Wie können wir heute, im 21. Jahrhundert, Gottesdienste feiern, so dass alle Mitfeiernden angesprochen sind? Diese Frage stellte sich eine Gruppe von Frauen und Männern, die für die Gestaltung und Durchführung von Gottesdiensten verantwortlich sind. Ratlosigkeit machte sich breit. Von den verschiedenen Erfahrungen, die geäussert wurden, gab mir am meisten die eines Pfarrers zu denken.
Zu Beginn des Gottesdienstes – so berichtete er – singen wir nach der gegenseitigen Begrüssung ein Lob- und Danklied. Dann kommt das Grosse Loslassen über uns. Wir werden doch von so vielem gefangen gehalten oder bedrängt: von Sorgen, häuslichen und beruflichen Verpflichtungen, von Eitelkeiten, von Enttäuschungen, von  Erwartungen, von Beleidigungen, von Kränkungen – ja, es ist unmöglich alles aufzählen, was uns vom Eigentlichen und einzig Wichtigen ablenkt und abhält. Aufzählungen wirken langweilig und oberflächlich, ganz abgesehen davon, dass man auch nicht alles auf einmal loslassen kann. So nehmen wir jeweils nur ein Problemfeld heraus. Zum Beispiel dieses: Jeden Tag werden wir enttäuscht: von unserer Nachbarin, von unserem Partner, von uns selbst – weil wir mit unserer Arbeit nicht fertig werden, weil wir zu ungeduldig sind und und und. Um all diese Enttäuschungen loslassen zu können, brauchen wir Zeit, viel Zeit und viel Ruhe. Diese wohltuende Stille markiert den Beginn des Gottesdienstes. Wir lassen diese Enttäuschungen nicht nur, wir über-lassen sie Gott. Dort sind sie gut aufgehoben.
Im Grunde genommen können wir alles lassen; alles, was uns ablenkt oder gefangenhält oder quält. So werden wir leer und frei. In der Liturgie – so der Pfarrer – folgt dann dieser stillen Zeit des Lassens ein Gebet.
Die Idee finde ich gut. Wir haben so vieles zu lassen, von so vielem uns leer zu machen. Vielleicht können wir so Gott Raum geben.
Die Frage, die sich mir im Nachhinein stellt, ist die: Sollten wir nicht einmal versuchen, auch Gott loszulassen? Ihn zu lassen, wie er ist, ihn frei zu lassen, uns von ihm kein Bild zu machen, ihn nicht vor den Karren unserer Interessen zu spannen, ihn nicht zu vereinnahmen?
Der Mystiker Meister Eckhart (1260-1328) fordert dazu auf,
Gott um Gottes Willen zu lassen.
In diesem Sinn nennt Gott dem Mose am brennenden Dornbusch seinen Namen:
Ich bin, der ich bin,
das heisst: ‚Ich bin für euch da, ich gehe mit euch, ich bin bei euch. Bitte, lasst mich der sein, der ich bin!’
Meister Eckhard fügt seiner Forderung Gott um Gottes Willen zu lassen noch hinzu:
damit er mir bleibe.
Nur wenn wir Gott lassen, kann er wirklich unser Gott sein.
Hermann-Josef Venetz



vendredi 5 juin 2015

Licht und Brot
Eberhard Münch
 Während die anderen Evangelien davon berichten, dass im Zentrum der Botschaft Jesu das Reich Gottes steht, spricht Jesus im Johannesevangelium hauptsächlich von sich selbst. Nirgends sonst finden wir so viele Ich-bin-Worte, wie im Johannesevangelium: Ich bin das Brot des Lebens, ich bin das Licht der Welt, ich bin der Gute Hirt, ich bin die Auferstehung, ich bin der wahre Weinstock, ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Mit solchen Aussagen brachten die Christinnen und Christen, die hinter dem Johannesevangelium standen, ihren Glauben an den Messias Jesus zum Ausdruck.
Ist es aber wirklich so, dass sich Jesus mit diesen Aussagen ins Zentrum stellen wollte, gewissermassen an die Stelle Gottes? Sehen wir die eine oder andere dieser Aussagen etwas näher an.
Ich bin das Licht der Welt. Wenn wir in einem dunklen Raum sind, zünden wir das Licht an, nicht um ins Licht zu starren; es würde uns ja nur blenden. Wir zünden das Licht an, damit wir die Leute und die Gegenstände um uns herum besser sehen können.
Ich bin das Brot des Lebens. Das Brot ist uns nicht gegeben, dass wir es aufbewahren oder ausstellen, sondern dass wir davon essen, es teilen und dafür sorgen, dass alle zu leben haben.
Ich bin der Weg. Der Weg ist nicht da, damit wir darauf stehen bleiben und ihn gar bewundern, sondern dass wir darauf weitergehen, um dem Nächsten, besonders dem Leidenden und Fremden entgegen zu gehen.
Mit all diesen Ich-bin-Aussagen stellt Jesus nicht sich selbst in den Mittelpunkt. Er bietet sich als Hilfe an, damit wir die Not unserer Mitmenschen besser sehen und ihnen selbst zum Licht, zum Brot und zum Weg werden.
Im gleichen Johannesevangelium sagt Jesus von sich selbst: Ich bin gekommen, damit ihr Leben habt, Leben in Fülle (Johannes 10,10). Und von dieser Fülle sollen all unsere Mitmenschen etwas mitbekommen. Auch und gerade durch uns.

Hermann-Josef Venetz