lundi 21 mars 2016

Sieh nicht weg, wenn ein Armer die Hand ausstreckt



 Das Buch Jesus Sirach – man vermutet, dass es um 180 vor Christus entstanden ist – wird von der römisch-katholischen Kirche und den orthodoxen Kirchen als Teil des Alten Testamentes angesehen. Die Kirchen der Reformation rechnen diese Weisheitsschrift zwar zu den Apokryphen, schätzen sie aber trotzdem sehr hoch. Zu Beginn des 4. Kapitels lesen wir folgendes:
Bring den Armen nicht um das, was er zum Leben braucht! Wenn seine Augen dich anflehen, dann lass ihn nicht vergebens warten! Hungrige lass nicht leiden und kränke sie nicht; sie haben es schwer genug. Sei nicht hartherzig gegenüber Verbitterten, verletze sie nicht noch mehr. Lass niemand warten, der auf deine Hilfe angewiesen ist. Wenn ein Mensch in Not ist und dich um etwas bittet, dann weise ihn nicht ab und lass ihn nicht stehen. Sieh nicht weg, wenn ein Armer etwas von dir erbittet; gib ihm keinen Grund, dir zu fluchen! Denn wenn er so verzweifelt ist, dass er dir flucht, wird sein Schöpfer den Fluch wahr machen.
 
Es handelt sich hier um ein Anliegen, das sich durch die ganze Bibel hindurch zieht: die Rücksichtnahme gegenüber den Armen und Notleidenden, den Verbitterten und den Fremden, den Witwen und Waisen. Die israelitische Gesetzgebung und die prophetischen Mahnungen messen sich daran, ob und wie die Benachteiligten darin berücksichtigt werden. Der Gott Israels hat nun mal – aus was für Gründen auch immer – für sie Partei ergriffen, und er wird davon nie abkommen. Er steht an der Seite der Letzten. Ja, er macht sich zu ihrem Anwalt. Sein Bevollmächtigter, Jesus von Nazaret, wird sich mit ihnen identifizieren:
Ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben…
Ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen… (Matthäus 25,35).
Hermann-Josef Venetz

mercredi 16 mars 2016

Ein befremdendes Gottesbild


 Zolleinnehmer und andere, die einen ebenso schlechten Ruf hatten, versammelten sich bei Jesus und wollten ihn hören. Die Pharisäer und die Gesetzeslehrer murrten und sagten: Er lässt das Gesindel zu sich! Er isst sogar mit ihnen!
Da erzählte ihnen Jesus dieses Gleichnis: Stellt euch vor, eine Frau hat zehn Silberstücke und verliert eins davon. Zündet sie da nicht eine Lampe an, fegt das ganze Haus und sucht gründlich in allen Ecken, bis sie das Geldstück gefunden hat? Und wenn sie es gefunden hat, ruft sie ihre Freundinnen und Nachbarinnen zusammen und sagt zu ihnen: Freut euch mit mir, ich habe mein verlorenes Silberstück wieder gefunden! Ich sage euch: Genauso freuen sich die Engel Gottes über einen einzigen Sünder, der ein neues Leben anfängt. (nach Lukas 15,1 –3.8 –10)
Es wird sehr breit ausgemalt, was die Frau alles unternimmt, um das verlorene Geldstück wieder zu finden. Damals gab es keine Parkettböden. Eine Lampe anzünden verlangte viel Geschick und Zeit. Es scheint, dass das Geldstück für sie lebensnotwendig war.
Das Gleichnis ist ein Reich-Gottes-Gleichnis. Die Hauptrolle spielt eine Frau, die eine Lampe anzündet, das ganze Haus auf den Kopf stellt und fegt und kniend in allen Ecken nach dem Geldstück sucht. Es ist aber auch eine Frau, die sich überschäumend freuen kann, wenn sie das Verlorene findet, so dass sie ihre Freundinnen und Nachbarinnen zu einem Fest einlädt, für das sie möglicherweise mehr ausgeben muss, als das Silberstück wert ist. Ein bisschen verrückt, nicht wahr?
Ist diese Frau ein Bild für Gott? Und auf was bezieht sich denn das, was die Frau so dringend sucht? Könnten wir damit gemeint sein? Sind wir ihm so wichtig? Überlebenswichtig?
Vielleicht sollten wir uns langsam auf einen ‚verrückten Gott’ einstellen…
Hermann-Josef Venetz

lundi 7 mars 2016

Je suis Jonas





Es ist immer wieder lohnenswert, zum Buch Jona zu greifen. Dieses Buch steht in unserer hebräischen Bibel, dem so genannten Alten Testament. Im Unterschied zu anderen Prophetenbüchern handelt es sich aber nicht um eine Sammlung von Prophetenworten, sondern um eine Erzählung über das Schicksal des Propheten Jona. Dieser sollte den Bewohnern der berühmt-berüchtigten Stadt Ninive eine Strafpredigt halten und sie zur Umkehr bewegen. Jona tut das dann auch, indem er der Stadt und den Menschen kurzerhand den Untergang androht:

Noch 40 Tage, und Ninive wird zerstört werden!
Und alle, vom König bis zum Vieh, tun in Sack und Asche Busse. Die Erzählung hält dann fest:
Als Gott sah, was sie taten, dass sie von ihrem bösen Tun sich abkehrten, da reute ihn das Böse, das er ihnen zu tun angedroht hatte, und er tat es nicht (Jona 3).
Jetzt sieht sich Jona von Gott betrogen und wird wütend und zornig, weil er nicht das eintreten lässt, was er durch den Propheten ankünden liess. Gott versucht zwar noch, ihm gut zuzureden, ja er schickt ihm sogar eine Staude, die ihm Schatten geben und ihn von seinem Unmut befreien soll. Als dann aber am folgenden Morgen die glühende Sonne aufgeht und ein Wurm der Staude den Garaus macht, geht es auch mit Jona zu Ende: Mit Recht bin ich erzürnt und möchte sterben, sagt er.

Man braucht nicht lange im Buch zu lesen um festzustellen, dass
es sich bei Jona nicht um eine historische Gestalt, sondern vielmehr um die Karikatur eines Propheten geht. Das Buch ist voller Tiefsinn verbunden mit Charme und Schalk. Es endet auch nicht mit einem happy end, auch nicht in einer Tragödie, sondern mit einer Frage. Spätestens bei der Frage am Schluss des Buches stellen wir fest, dass der widerspenstige Jona weniger die Züge eines Propheten als unsere eigenen Züge trägt:
Dir ist es leid um den Strauch, für den du nicht gearbeitet und den du nicht großgezogen hast. Über Nacht war er da, über Nacht ist er eingegangen. Mir aber sollte es nicht leid sein um Ninive, die große Stadt, in der mehr als hundertzwanzigtausend Menschen leben, die nicht einmal rechts und links unterscheiden können – und außerdem so viel Vieh? (Jona 4)
So endet das Buch. Ninive? Ninive ist überall. Jona? An seiner Stelle stehen jetzt wir. An seiner Stelle haben wir auf die Frage Gottes eine Antwort zu geben. Wie Jona sind auch wir unwillig, wenn Gott sich derer erbarmt, von denen wir meinen, dass sie es nicht verdienen. Wie Jona müssen auch wir lernen, dass Gott ein Gott des Erbarmens ist und dass ihn das Böse reuen kann, das er den Menschen androht. Und mit Jona zusammen müssen auch wir die Lektion lernen, dass der Ewige sich in seine Pläne nicht dreinreden lässt.

Hermann-Josef Venetz