samedi 20 juillet 2013

Entgrenzungen




 Grenzen bieten Sicherheit. Wo Grenzen fallen, werden Menschen verunsichert. Es gibt Leute, für die ist Sicherheit wichtigstes Bedürfnis und wichtigste Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben der Bürgerinnen und Bürger. Für die meisten Menschen gehen  „Friede und Sicherheit“ zusammen und stehen zuoberst der Prioritätenliste.

Es geht dabei nicht nur um staatliche Grenzen. Es gibt auch Grenzen im Umgang miteinander, kulturelle, religiöse und konfessionelle Grenzziehungen. Wer solche Grenzen verwischt, verunsichert die Menschen und wird von der Gesellschaft abgelehnt.

Von Jesus von Nazaret lässt sich (fast) nur Gutes sagen. Er setzte sich für die Armen ein, heilte Kranke, befreite Menschen von verschiedenen Besessenheiten. Dagegen war und ist nichts einzuwenden, weder von der römischen Besatzungsmacht noch von den Frommen damals und heute. Was Jesus zum Verhängnis wurde, waren seine Grenzüberschreitungen: dass er mit dem Zöllner Levi und anderen schlechtbeleumdeten Menschen ass und trank; dass er die stadtbekannte Frau gewähren liess, die ihm die Füsse wusch, mit ihrem offenen Haar trocknete und dann erst noch küsste; dass er sich mit dem heidnischen Hauptmann auf den Weg machte, um dessen Sohn zu heilen; dass er die Ehebrecherin nicht der „gerechten Strafe“ der Steinigung zuführte.

Und dann sprach er erst noch von einem Gott, „der die Sonne aufgehen lässt über Böse und Gute und regnen lässt über Gerechte und Ungerechte“ (Matthäus 5,45). Er verwischt so die Grenze zwischen bös und gut, zwischen gerecht und ungerecht.

Der Gott Jesu ist nicht ein Grenzzieher. Ihm geht es nicht darum, die Guten zu belohnen und die Bösen zu bestrafen; ihm geht es um die Versöhnung. Das hat mit Beliebigkeit nichts zu tun, sehr viel aber mit der entgrenzten, entfesselten Liebe.

Hermann-Josef Venetz


samedi 13 juillet 2013

Mystik des Alltags


 Wie kein anderes Gebet macht uns das Vaterunser auf unseren ganz konkreten Alltag aufmerksam. Es gibt schlicht gar nichts in unserem privaten und gesellschaftlichen Leben, das wir im Vaterunser nicht zur Sprache bringen könnten. Was immer wir seufzen, klagen, uns erhoffen und uns freuen erhält hier den je eigenen Stellenwert und die je eigene Würde. Dabei können wir feststellen, dass dieser unser konkreter Alltag eine ungeahnte Tiefendimension erhält: Unsere Seufzer sind nicht nur Seufzer, unsere Klagen nicht nur Klagen, unsere Freuden nicht nur Freuden. Und unsere Mitmenschen nah und fern sind nicht nur Mitmenschen; sie sind unsere Geschwister, Söhne und Töchter und Kinder des einen Gottes und von diesem Gott leidenschaftlich geliebt. 
 
Das Vaterunser lädt uns ein, 

in unserer Endlichkeit mit dem Unendlichen

eins zu werden.

Hermann-Josef Venetz

samedi 6 juillet 2013

Das Vater Unser Eine ganze Welt

Das Besondere an diesem Gebet liegt darin, dass es das Gebet Jesu ist und dass er seine Jüngerinnen und Jünger lehrte, dieses Gebet zu ihrem zu machen.
In diesem Gebet ist das grosse Anliegen und die befreiende Praxis Jesu auf einmalige und authentische Weise zusammengefasst. Millionen von Menschen, glaubende und zweifelnde, haben dieses Gebet durch all die Jahrhunderte gebetet und beten es immer noch und immer wieder.

Sie beten es in den verschiedensten Ausdrucksmöglichkeiten, die ein Gebet haben kann: sie murmeln es, singen es, meditieren es, kosten jedes Wort aus; sie verweilen bei diesem Gebet im stillen Kämmerlein, auf einer Bergwanderung, in einer Kirche, auf dem Friedhof oder im Zug. In Gruppen möchten sie die Erfahrungen, die sie mit diesem Gebet machen, austauschen. Viele können das Vaterunser überhaupt nur in Gemeinschaft beten, weil es ein Gebet in Wir-Form ist.

Es bietet sich dieses Gebet an zum Solidarisch-Sein mit allen Geschwistern, die zum gemeinsamen Vater beten: mit den Unterdrückten, die Gerechtigkeit ersehnen; mit den Entfremdeten, die nach dem Willen Gottes suchen; mit den Hungernden, den Opfern unserer ungerechten Wirtschaftsordnung; mit den Verschuldeten, die aus der Misere nicht mehr herauskommen; mit den schuldig gewordenen, die um Vergebung bitten; mit den Gefährdeten, die der Versuchung nur mit Mühe widerstehen können; mit den Gläubigen aller Konfessionen und Religionen; ja selbst mit den Ungläubigen, denen Gott doch auch Vater und Mutter ist.

Es gibt tausend Anlässe und tausend Möglichkeiten, in die eigene Welt dieses Gebetes immer wieder einzutauchen.

Hermann-Josef Venetz