vendredi 13 mai 2016

Seid heilig!

Anne Frank


Der Ewige sprach zu Mose:
Richte der ganzen Gemeinde der Israeliten aus, was ich ihr zu sagen habe: Ihr sollt heilig sein; denn ich, der Ewige, euer Gott, bin heilig …
Wenn ihr die Ernte eures Landes einbringt, sollt ihr euer Feld nicht bis zum äußersten Rand abernten und keine Nachlese halten. Auch in deinem Weinberge sollst du keine Nachlese halten und die heruntergefallenen Beeren nicht aufheben. Lasst etwas übrig für die Armen und für die Fremden bei euch.
Ich bin der Ewige, euer Gott!» (nach Leviticus 19,9-10)
Der Anspruch Gottes an diejenigen, die er erwählt, ist gewaltig: sie sollen heilig sein, wie er heilig ist. Heilig ist nach dem Verständnis der Bibel nur Gott. Wenn wir von Gott sagen, er sei heilig, dann meinen wir damit sein ureigenes Geheimnis. Gewiss sagen wir auch von Menschen oder von Orten oder von Ereignissen, dass sie heilig seien, aber nur deshalb, weil sie in engster Verbindung mit Gott stehen und so an seinem Geheimnis teilhaben. Es gibt Menschen und Orte und Ereignisse, die das Geheimnis Gottes sichtbar machen oder wenigstens ahnen lassen. Unser Text macht ganz konkret deutlich, wie Menschen das Geheimnis Gottes zur Erfahrung bringen: Sie ernten ihr Feld nicht bis zum äußersten Rand ab, sondern lassen etwas für die Armen und Fremden übrig.
Hermann-Josef Venetz


vendredi 6 mai 2016

Liebe fordert keinen Beweis




 Pharisäer kamen zu Jesus und begannen mit ihm zu streiten. Sie wollten ihn auf die Probe stellen und verlangten von ihm ein Zeichen vom Himmel. Das sollte als Beweis dafür dienen, dass er wirklich von Gott beauftragt sei. Jesus seufzte und sagte: Wieso fordert diese Generation ein Zeichen? Amen. Ich versichere euch: Dieser Generation wird nie und nimmer ein Zeichen gegeben. Und er ließ sie stehen, stieg wieder ins Boot und fuhr ans andere Seeufer (nach Markus 8,11 –13).
Wenn in einer Liebesbeziehung der Partner von seiner Partnerin einen Beweis oder ein deutliches Zeichen ihrer Liebe verlangt, ist das als sicheres Zeichen dafür anzusehen, dass seine Liebe am Erlöschen ist. Warum? Wer von seiner Partnerin einen Liebesbeweis verlangt, setzt sie unter Druck; und das ist alles andere als ein Ausdruck der Liebe. Und die Partnerin – sie steht ohnmächtig da. Denn jeder Beweis kann vom Partner in Zweifel gezogen und zunichte gemacht werden.
Auch in unserer Erzählung steht Jesus ohnmächtig da. Er kann Wunder wirken – so große und so viele er will: Leute, die nicht glauben, die kein Vertrauen haben, lassen sich davon nicht beeindrucken und werden sagen: Er steht mit dem Teufel im Bund. Nicht weil Jesus die Leute wegen ihres Unglaubens bestrafen will, geht er auf die Zeichenforderung nicht ein. Jesus will nicht Wunderwirker sondern Liebender sein. Das ist etwas ganz anderes. Als Liebender will und kann er keinen Druck ausüben; denn wo Druck ausgeübt wird, kann Liebe nicht gedeihen. Und das beruht auf Gegenseitigkeit.
Wir wollen auch Gott nicht unter Druck setzen und von ihm Wunder verlangen; das wäre lieblos. Umgekehrt wird Gott auch uns nie unter Druck setzen. Er weiß wie wir: Liebe ist nur möglich, wo Freiheit ist.
Hermann-Josef Venetz




mardi 12 avril 2016

Wer ist ein Gott wie du?!

Wer ist ein Gott wie du?!



Wo sonst gibt es einen Gott wie dich? Du trägst die Schuld weg, du gehst am Verbrechen vorüber, du verharrst nicht auf immer in deinem Zorn, du liebst es, uns aufzusuchen, um bei uns zu sein, du wirst dich unser erbarmen, du zertrittst all unsere Schulden, du wirst unsere Sünden in die Tiefe des Meeres versenken. Du wirst Jakob die Treue erweisen und Abraham deine Huld, wie du unseren Vätern geschworen hast in den Tagen der Vorzeit (nach Micha 7,18 –20).
In den letzten Versen des Buches Micha gibt der Prophet – er lebte und wirkte im 8. Jahrhundert vor Christus – seinem großen Staunen Ausdruck: Wer ist ein Gott wie du?! Es tut gut, uns wieder einmal an das Unvergleichliche des Gottes Abrahams, Isaaks und Israels zu erinnern. Ein uraltes Kirchengebet wird so eingeleitet: Am allermeisten zeigst du deine Allmacht dadurch … … und jetzt kann man gespannt sein, wie es weitergeht: ist es das Faszinierende der Schöpfung, die Unermesslichkeit des Weltalls, die Winzigkeit der Atome, sind es die Wunder, die die Bibel erzählt … Nein nichts von all dem. Das uralte Kirchengebet geht so:
Am allermeisten zeigst du deine Allmacht dadurch, dass du uns schonst und dich unser erbarmst.

 
Darin besteht die Unvergleichlichkeit Gottes. Micha umschreibt sie in unserem Text mit sieben markanten Sätzen:
- Er schleppt die Schuld weg,
- die Verbrechen achtet er nicht,
- er verbohrt sich nicht in seinen Zorn,
- als geselliger Gott bietet er uns Gemeinschaft an,
- als mütterlicher Gott hat er herzliches Mitleid mit uns,
- er zerstampft unsere Schulden und löscht sie aus,
- er bringt unsere Sünden zum Verschwinden.
Und so – wie wenn alles vergessen wäre – macht er die anfängliche Treue, die er den Ureltern geschworen hat, wieder sichtbar. Ja, wer sollte vor einem solchen Gott nicht Staunen ausbrechen, dieser Gott, mit dem man immer wieder neu anfangen kann?!
Hermmann-Josef Venetz


lundi 21 mars 2016

Sieh nicht weg, wenn ein Armer die Hand ausstreckt



 Das Buch Jesus Sirach – man vermutet, dass es um 180 vor Christus entstanden ist – wird von der römisch-katholischen Kirche und den orthodoxen Kirchen als Teil des Alten Testamentes angesehen. Die Kirchen der Reformation rechnen diese Weisheitsschrift zwar zu den Apokryphen, schätzen sie aber trotzdem sehr hoch. Zu Beginn des 4. Kapitels lesen wir folgendes:
Bring den Armen nicht um das, was er zum Leben braucht! Wenn seine Augen dich anflehen, dann lass ihn nicht vergebens warten! Hungrige lass nicht leiden und kränke sie nicht; sie haben es schwer genug. Sei nicht hartherzig gegenüber Verbitterten, verletze sie nicht noch mehr. Lass niemand warten, der auf deine Hilfe angewiesen ist. Wenn ein Mensch in Not ist und dich um etwas bittet, dann weise ihn nicht ab und lass ihn nicht stehen. Sieh nicht weg, wenn ein Armer etwas von dir erbittet; gib ihm keinen Grund, dir zu fluchen! Denn wenn er so verzweifelt ist, dass er dir flucht, wird sein Schöpfer den Fluch wahr machen.
 
Es handelt sich hier um ein Anliegen, das sich durch die ganze Bibel hindurch zieht: die Rücksichtnahme gegenüber den Armen und Notleidenden, den Verbitterten und den Fremden, den Witwen und Waisen. Die israelitische Gesetzgebung und die prophetischen Mahnungen messen sich daran, ob und wie die Benachteiligten darin berücksichtigt werden. Der Gott Israels hat nun mal – aus was für Gründen auch immer – für sie Partei ergriffen, und er wird davon nie abkommen. Er steht an der Seite der Letzten. Ja, er macht sich zu ihrem Anwalt. Sein Bevollmächtigter, Jesus von Nazaret, wird sich mit ihnen identifizieren:
Ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben…
Ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen… (Matthäus 25,35).
Hermann-Josef Venetz

mercredi 16 mars 2016

Ein befremdendes Gottesbild


 Zolleinnehmer und andere, die einen ebenso schlechten Ruf hatten, versammelten sich bei Jesus und wollten ihn hören. Die Pharisäer und die Gesetzeslehrer murrten und sagten: Er lässt das Gesindel zu sich! Er isst sogar mit ihnen!
Da erzählte ihnen Jesus dieses Gleichnis: Stellt euch vor, eine Frau hat zehn Silberstücke und verliert eins davon. Zündet sie da nicht eine Lampe an, fegt das ganze Haus und sucht gründlich in allen Ecken, bis sie das Geldstück gefunden hat? Und wenn sie es gefunden hat, ruft sie ihre Freundinnen und Nachbarinnen zusammen und sagt zu ihnen: Freut euch mit mir, ich habe mein verlorenes Silberstück wieder gefunden! Ich sage euch: Genauso freuen sich die Engel Gottes über einen einzigen Sünder, der ein neues Leben anfängt. (nach Lukas 15,1 –3.8 –10)
Es wird sehr breit ausgemalt, was die Frau alles unternimmt, um das verlorene Geldstück wieder zu finden. Damals gab es keine Parkettböden. Eine Lampe anzünden verlangte viel Geschick und Zeit. Es scheint, dass das Geldstück für sie lebensnotwendig war.
Das Gleichnis ist ein Reich-Gottes-Gleichnis. Die Hauptrolle spielt eine Frau, die eine Lampe anzündet, das ganze Haus auf den Kopf stellt und fegt und kniend in allen Ecken nach dem Geldstück sucht. Es ist aber auch eine Frau, die sich überschäumend freuen kann, wenn sie das Verlorene findet, so dass sie ihre Freundinnen und Nachbarinnen zu einem Fest einlädt, für das sie möglicherweise mehr ausgeben muss, als das Silberstück wert ist. Ein bisschen verrückt, nicht wahr?
Ist diese Frau ein Bild für Gott? Und auf was bezieht sich denn das, was die Frau so dringend sucht? Könnten wir damit gemeint sein? Sind wir ihm so wichtig? Überlebenswichtig?
Vielleicht sollten wir uns langsam auf einen ‚verrückten Gott’ einstellen…
Hermann-Josef Venetz

lundi 7 mars 2016

Je suis Jonas





Es ist immer wieder lohnenswert, zum Buch Jona zu greifen. Dieses Buch steht in unserer hebräischen Bibel, dem so genannten Alten Testament. Im Unterschied zu anderen Prophetenbüchern handelt es sich aber nicht um eine Sammlung von Prophetenworten, sondern um eine Erzählung über das Schicksal des Propheten Jona. Dieser sollte den Bewohnern der berühmt-berüchtigten Stadt Ninive eine Strafpredigt halten und sie zur Umkehr bewegen. Jona tut das dann auch, indem er der Stadt und den Menschen kurzerhand den Untergang androht:

Noch 40 Tage, und Ninive wird zerstört werden!
Und alle, vom König bis zum Vieh, tun in Sack und Asche Busse. Die Erzählung hält dann fest:
Als Gott sah, was sie taten, dass sie von ihrem bösen Tun sich abkehrten, da reute ihn das Böse, das er ihnen zu tun angedroht hatte, und er tat es nicht (Jona 3).
Jetzt sieht sich Jona von Gott betrogen und wird wütend und zornig, weil er nicht das eintreten lässt, was er durch den Propheten ankünden liess. Gott versucht zwar noch, ihm gut zuzureden, ja er schickt ihm sogar eine Staude, die ihm Schatten geben und ihn von seinem Unmut befreien soll. Als dann aber am folgenden Morgen die glühende Sonne aufgeht und ein Wurm der Staude den Garaus macht, geht es auch mit Jona zu Ende: Mit Recht bin ich erzürnt und möchte sterben, sagt er.

Man braucht nicht lange im Buch zu lesen um festzustellen, dass
es sich bei Jona nicht um eine historische Gestalt, sondern vielmehr um die Karikatur eines Propheten geht. Das Buch ist voller Tiefsinn verbunden mit Charme und Schalk. Es endet auch nicht mit einem happy end, auch nicht in einer Tragödie, sondern mit einer Frage. Spätestens bei der Frage am Schluss des Buches stellen wir fest, dass der widerspenstige Jona weniger die Züge eines Propheten als unsere eigenen Züge trägt:
Dir ist es leid um den Strauch, für den du nicht gearbeitet und den du nicht großgezogen hast. Über Nacht war er da, über Nacht ist er eingegangen. Mir aber sollte es nicht leid sein um Ninive, die große Stadt, in der mehr als hundertzwanzigtausend Menschen leben, die nicht einmal rechts und links unterscheiden können – und außerdem so viel Vieh? (Jona 4)
So endet das Buch. Ninive? Ninive ist überall. Jona? An seiner Stelle stehen jetzt wir. An seiner Stelle haben wir auf die Frage Gottes eine Antwort zu geben. Wie Jona sind auch wir unwillig, wenn Gott sich derer erbarmt, von denen wir meinen, dass sie es nicht verdienen. Wie Jona müssen auch wir lernen, dass Gott ein Gott des Erbarmens ist und dass ihn das Böse reuen kann, das er den Menschen androht. Und mit Jona zusammen müssen auch wir die Lektion lernen, dass der Ewige sich in seine Pläne nicht dreinreden lässt.

Hermann-Josef Venetz

jeudi 11 février 2016

...zu richten die Lebenden und die Toten




Jedes Mal, wenn ich das Glaubensbekenntnis spreche, gerate ich bei diesem Satz ins Stocken. Wie soll ich ihn verstehen? Soll ich mir dieses Kommen herbeisehnen – oder müsste ich es nicht eher fürchten? Werde ich vor dem kommenden Richter bestehen?
Biblische Bilder tauchen auf vom kommenden Richter, der die Völker zusammenrufen und die »Böcke« von den »Schafen« scheiden wird (Mt 25,31-46), wobei die einen das Reich in Besitz nehmen, die anderen hingegen in das ewige Feuer geworfen werden.
Die Darstellungen des Jüngsten Gerichts, wie wir sie in manchen Gotteshäusern finden, helfen dabei nicht. Zu tief haben sich die Bilder der Verdammten, die in die Hölle hinabstürzen, in unser Innerstes eingebrannt. Ich will diese Vorstellungen, die im Volksglauben fest verankert sind, nicht einfach über Bord werfen. Aber es gibt auch noch andere Möglichkeiten, das Wort vom »Richten« zu verstehen.
Nach Vorstellungen, wie wir sie unter anderem auch in der Bibel antreffen, ist der Richter an erster Stelle nicht derjenige, der nach genauer Buchführung die Menschen belohnt oder bestraft, sondern vor allem derjenige, der Menschen, die Unrecht erleiden, ins Recht setzt. Das ist das, worum zum Beispiel in den Psalmen die ungerecht Verfolgten bitten: dass Gott vor aller Welt deutlich macht, auf welcher Seite er steht, und dass den Erpressern, den Blutsaugern ganz klar gesagt wird, dass sie auf die falsche Karte setzen und sich vor aller Welt schämen müssen.
Nicht um Belohnung und Bestrafung geht es also an erster Stelle, sondern darum, dass das Richtige, das Recht sich durchsetzt und ans Licht kommt und dass diejenigen, die das ganze Leben lang ihrer Treue wegen unten durch mussten, aufgerichtet, rehabilitiert werden.
Das Bild vom kommenden Richter will den Menschen nicht Angst machen; im Gegenteil! Es ist ein Bild der Hoffnung und Befreiung für diejenigen, die Unrecht erleiden;  sie sollen Recht bekommen. Und zwar nicht erst im ‚Jenseits’. Der Kommende, der die Rechtlosen ins Recht setzt, gibt ihnen jetzt schon eine Stimme. Sie sind nicht länger nur Opfer, sondern jetzt schon Subjekt der eigenen Geschichte.
Das heisst aber auch für uns, dass wir uns nicht mehr abfinden mit Ungerechtigkeit und Gewalt, mit Unrecht und Unterdrückung, sondern beharrlich darauf bestehen, dass es etwas anderes geben muss. So wird die Vorstellung von diesem Kommenden gleichzeitig zum Bild der Hoffnung: Dass dieses »andere«, die Gerechtigkeit und die Liebe und der Frieden hier und jetzt, mitten unter uns, bereits greifbar wird.

Hermann-Josef Venetz

vendredi 5 février 2016

Nichts als die Verheissung ?





Ich habe einen Abreisskalender. Für jeden Tag hält er einen Gedanken bereit. Auf einem Blatt zur Jahreswende las ich:
Ich sagte zu dem Engel, der das alte mit dem neuen Jahr verbindet: »Gib mir ein Licht, damit ich festen Schrittes in die Ungewissheit des neuen Lebens schreiten kann.«
Aber er antwortete mir: »Geh hinaus in die Ungewissheit und lege deine Hand in Gottes Hand; das ist mehr wert als ein Licht und sicherer, als den Weg zu wissen.«
Als Quellenangabe stand unter diesem Text nicht etwa der Name eines Mystikers oder eines bekannten Kirchenvaters, sondern ganz einfach: Aus China.
Der Text verfolgt mich immer wieder, und es kommen mir Situationen und Erzählungen aus der Bibel in den Sinn. Schon zu Beginn der Geschichte Gottes mit den Menschen sagt der Ewige zu Abraham: Geh los! Weg aus deinem Land, aus deiner Verwandtschaft… in das Land, das ich dir zeigen werde… ich werde dich segnen… Und Abraham brach auf und hatte nichts als Gottes ‚Hand’: seinen Segen (Genesis 12,1ff).

Und ich denke an Mose am brennenden Dornbusch. Zu ihm sagt der Ewige: Und jetzt geh! Ich schicke dich zum Pharao; Du wirst mein Volk aus Ägypten herausführen… Ich werde mit dir sein. Nach etlichem Widerstand und manchen Absprachen macht sich Mose mit Aaron auf den schweren Weg zum Pharao und auf den noch schwierigeren Weg mit dem Volk durch die Wüste mit nichts in der ‚Hand’ als den Namen Gottes ICH-BIN-DA (Exodus 3).
Und ich denke an die Jünger auf dem Berg in Galiläa, wo der Auferstandene ihnen sagt: Macht euch auf den Weg und lasst alle Völker mitlernen und taucht sie ein in den Namen Gottes... Ich bin bei euch alle Tage, bis Zeit und Welt vollendet sind… Und sie machen sich auf den Weg mit nichts anderem in der ‚Hand’ als die Verheissung des Mitsein (Matthäus 28, 16-20).
So ist Gott – überall, wo wir ihm begegnen. Er schickt uns in die Ungewissheit. Aber seine Hand bedeutet uns Licht und Sicherheit.
Hermann-Josef Venetz

lundi 1 février 2016

Ich habe euch aufgespielt, und ihr habt nicht getanzt!

Ich bekam einmal zu einem bestimmten Anlass einen wunderschönen Holzschnitt geschenkt. Er stellt eine Gruppe finsterer Gestalten dar, unbeweglich, lustlos, starr. Vor ihnen tanzt und spielt beschwingt ein Flötenspieler. Darunter mit Bleistift der Satz: Ich habe euch aufgespielt, und ihr habt nicht getanzt!
Das Bild sollte an das Gleichnis erinnern, das sowohl Lukas als auch Matthäus in ihren Evangelien überliefern (Lukas 7,31-35; Matthäus 11,17-19). Kinder möchten spielen und machen ihren Gespanen auch entsprechende Vorschläge: »Spielen wir doch Hochzeit!« , »Spielen wir doch Beerdigung!« Aber von den anderen Kindern kommt nie eine Reaktion; sie haben einfach keine Lust. Ihnen sind die Vorschläge zu uninteressant.
Hier und da regt mich dieses Bild zur abendlichen Gewissenserforschung an. Ich frage mich dann, wo und wann hat mir heute der Flötenspieler zum Tanzen aufgespielt? Und ich denke an ganz konkrete Gegebenheiten, bei denen ich ebenso abweisend und finster aus der Wäsche geguckt habe wie diese traurigen Gestalten auf dem Holzschnitt. Ich denke an die Nachbarin; ihr krebskranker Mann ist im Krankenhaus; aber wenn ich der in die Quere komme, lässt sie mich vor einer halben Stunde nicht wieder los. Oder ich denke an meinen Kollegen; er hat mich zum Apero eingeladen, aber seine immer gleichen Witze kann ich schon nicht mehr hören. Ich denke an die Obdachlose, die vor der Post ihre komischen Zeitschriften verkauft. Ich habe so getan, als ob ich die Zeitschrift schon längst hätte. Ich denke an die kleine Gruppe engagierter Leute, die mir zumutete, mit ihnen zusammen an die Demonstration für die Sans-Papier zu gehen... Jedes Mal kam von mir ein gelangweiltes Abwinken. Ich bemerkte nicht, dass es jedes Mal der Flötenspieler war, der mir zur Hochzeit aufspielte.
Dann aber gab es doch Momente, an denen ich mitgetanzt habe. Es waren die schönsten des Tages.
Was mir das Gleichnis sagen will? Vielleicht dieses: Spiel doch mit! Lass dich ein auf den Reigen! Geh mit zum Fest, wenn dich der Flötenspieler doch so liebevoll einlädt!
Denn die Zeit zum Feiern ist da.
Hermann-Josef Venetz

mardi 26 janvier 2016

...zu richten die Lebenden und die Toten




Jedes Mal, wenn ich das Glaubensbekenntnis spreche, gerate ich bei diesem Satz ins Stocken. Wie soll ich ihn verstehen? Soll ich mir dieses Kommen herbeisehnen – oder müsste ich es nicht eher fürchten? Werde ich vor dem kommenden Richter bestehen?
Biblische Bilder tauchen auf vom kommenden Richter, der die Völker zusammenrufen und die »Böcke« von den »Schafen« scheiden wird (Mt 25,31-46), wobei die einen das Reich in Besitz nehmen, die anderen hingegen in das ewige Feuer geworfen werden.
Die Darstellungen des Jüngsten Gerichts, wie wir sie in manchen Gotteshäusern finden, helfen dabei nicht. Zu tief haben sich die Bilder der Verdammten, die in die Hölle hinabstürzen, in unser Innerstes eingebrannt. Ich will diese Vorstellungen, die im Volksglauben fest verankert sind, nicht einfach über Bord werfen. Aber es gibt auch noch andere Möglichkeiten, das Wort vom »Richten« zu verstehen.
Nach Vorstellungen, wie wir sie unter anderem auch in der Bibel antreffen, ist der Richter an erster Stelle nicht derjenige, der nach genauer Buchführung die Menschen belohnt oder bestraft, sondern vor allem derjenige, der Menschen, die Unrecht erleiden, ins Recht setzt. Das ist das, worum zum Beispiel in den Psalmen die ungerecht Verfolgten bitten: dass Gott vor aller Welt deutlich macht, auf welcher Seite er steht, und dass den Erpressern, den Blutsaugern ganz klar gesagt wird, dass sie auf die falsche Karte setzen und sich vor aller Welt schämen müssen.
Nicht um Belohnung und Bestrafung geht es also an erster Stelle, sondern darum, dass das Richtige, das Recht sich durchsetzt und ans Licht kommt und dass diejenigen, die das ganze Leben lang ihrer Treue wegen unten durch mussten, aufgerichtet, rehabilitiert werden.

Das Bild vom kommenden Richter will den Menschen nicht Angst machen; im Gegenteil! Es ist ein Bild der Hoffnung und Befreiung für diejenigen, die Unrecht erleiden;  sie sollen Recht bekommen. Und zwar nicht erst im ‚Jenseits’. Der Kommende, der die Rechtlosen ins Recht setzt, gibt ihnen jetzt schon eine Stimme. Sie sind nicht länger nur Opfer, sondern jetzt schon Subjekt der eigenen Geschichte.
Das heisst aber auch für uns, dass wir uns nicht mehr abfinden mit Ungerechtigkeit und Gewalt, mit Unrecht und Unterdrückung, sondern beharrlich darauf bestehen, dass es etwas anderes geben muss. So wird die Vorstellung von diesem Kommenden gleichzeitig zum Bild der Hoffnung: Dass dieses »andere«, die Gerechtigkeit und die Liebe und der Frieden hier und jetzt, mitten unter uns, bereits greifbar wird.

Hermann-Josef Venetz

lundi 18 janvier 2016

Bibel und Zeitgeist





Ihr Frauen, ordnet euch den Männern unter!
Diese Aufforderung steht in der Bibel. Im 5. Kapitel des Briefes an die christliche Gemeinde in Ephesus. Bis vor wenigen Jahren gehörte dieser Satz zum eisernen Bestand der Liturgie bei kirchlichen Trauungen. Heute versucht man je länger je mehr, Lesungen dieser Art zu umgehen; sie passen ganz einfach nicht mehr zu unserem Welt- und Menschenbild.
Aber: Führt ein solcher Umgang mit der Bibel nicht in die  Beliebigkeit? Passen wir so die Bibel nicht unserem Zeitgeist an?
Ja, der Zeitgeist! Zu oft vergessen wir, dass es auch zu biblischen Zeiten einen Zeitgeist gab, sei es, dass die biblischen Verfasser davor warnten, sei es, dass sie selber immer wieder dem Zeitgeist verfielen.
Im gleichen Epheserbrief lesen wir nur wenige Verse später:
Ihr Sklaven, gehorcht euren irdischen Herren mit Furcht und Zittern… (Epheser 6,5).
Ich zweifle keinen Augenblick daran, dass sowohl die Aufforderung an die Frauen als auch die an die Sklaven von Männern – eben ‚Herren’ – niedergeschrieben wurden. Sie haben so ihren eigenen Zeitgeist von der Überlegenheit des Mannes über die Frau und der ‚Herren’ über die ‚Untertanen’ in die Bibel hineingetragen. Sie waren nie in der Schule des Nazareners, für den die Frauen nicht weniger galten als die Männer und der für die Sklaverei überhaupt nichts übrig hatte. Im Gegenteil. Er verstand sich ganz im Auftrag jenes Gottes, dem alles daran gelegen war, sein Volk aus der Sklaverei zu befreien, und mit seinem Volk glaubte er, dass Mann und Frau nach dem Bild und Gleichnis Gottes erschaffen sind.
Zur Zeit Jesu wie zur Zeit des Epheserbriefes war die Welt von der Zweitrangigkeit der Frau wie von der Richtigkeit der Sklaverei überzeugt. Sklavenaufstände und Gleichstellungsbestrebungen wurden von den Machthabern, den ‚Herren’, mit brutaler Gewalt unterdrückt. Wenn der Verfasser des Epheserbriefes die Sklaven auffordert, ihren irdischen Herren zu gehorchen, und die Frauen auffordert, ihren Männern untertan zu sein, gibt er dem damaligen Zeitgeist nach und steht im Widerspruch zum Geist Jesu, der gekommen ist, die Menschen von allen politischen, wirtschaftlichen und religiösen Zwängen zu befreien.
Beim Lesen der Bibel werden wir jeweils genau hinsehen müssen, wes Geistes Kinder die Verfasser waren. Nicht immer waren sie vom guten Geist geleitet; nicht selten verfielen sie dem jeweiligen Zeitgeist – eine Versuchung, die durchaus verständlich ist und von der auch die spätere Kirche nicht immer verschont blieb.
Achten wie  also beim Lesen der Bibel auf den jeweiligen Zeitgeist. Auf den damaligen, aber auch auf den heutigen. Das verlangt von uns einen kritischen Umgang sowohl mit unserer Zeit, wie auch mit der Bibel.
Hermann-Josef Venetz