samedi 22 février 2014

Nur ein Augen-Blick





Im Bus beobachtete ich ein junges Paar, das eine Bankreihe schräg vor mir einander gegenübersass. Von meinem Platz aus konnte ich nur das Gesicht der Frau sehen, den ihr gegenüber sitzenden Mann sah ich nur seitlich von hinten.
Ich hörte nicht, was sie miteinander sprachen. Ich hatte den Eindruck, sie wolle ihm etwas erklären oder ihn etwas fragen, vielleicht ihn zur Rede stellen. Er war sehr wortkarg und blickte sie kaum an, weder während er, noch während sie sprach. Sie hingegen suchte immer wieder seine Augen. Sie war daran interessiert, dass er sie verstand. Seine Augen waren gesenkt oder suchten das Weite. Etwas bedrückte ihn. Vielleicht hatte er schlechtes Gewissen und er konnte oder wollte sich nicht erklären. Vielleicht wollte er, dass sie ihn in Ruhe lässt. Schliesslich liess sie ihn in Ruhe. Aber sie hörte nicht auf, nach ihm zu sehen. Ihre suchenden Augen verrieten mir, dass sie ihn verstehen möchte, ja dass sie ihm verzeihen würde, wenn es etwas zu verzeihen gäbe. Aber um ihm das zu verstehen zu geben, hätte er ihren Blick erwidern müssen. Hilflos blickte er umher, aber nie in ihre Augen.
Gerne hätte ich die Szene weiter verfolgt, aber für mich war es Zeit, den Bus zu verlassen. Das Bild von den suchenden traurigen Augen hat sich tief in mir eingeprägt.
Es war mir, als ob mir dieses Bild etwas über Gott sagen möchte. ER hält Ausschau nach den Menschen, nach mir. Ich weiche dem Blick aus, weil er mich beunruhigt, weil ich schlechtes Gewissen habe; ich will und kann mich nicht zu verstehen geben. Es wäre mir lieber, er würde mich in Ruhe lassen, er wäre gar nicht da.
Aber er sucht nur traurig meine Augen, weil er mich verstehen möchte, weil er mir verzeihen möchte. Auch wenn er aufgegeben hat, mit mir zu sprechen – weil ich ihn mit meinem umherschweifenden Blick abweise und mich nicht finden lasse – lässt er keinen Augenblick davon ab, mich zu suchen, sich mir zu verstehen zu geben, mir zu zeigen, dass er mir verzeiht, was immer auch geschehen ist.
Hermann-Josef Venetz

samedi 15 février 2014

Ein Plädoyer für das Geniessen




 Ältere unter uns mögen sich vielleicht erinnern, dass in unserem Religions- und Ethikunterricht der Verzicht eine große Rolle spielte und dass alles, was mit Lust und Genuss zu tun hatte, verdächtig war. Ja, selbst über jedes unnütze Wort hatten wir, wenn es denn soweit ist, Rechenschaft abzulegen. Mit dem ‚Willen Gottes’ wurden eher Kreuz und Leid in Zusammenhang gebracht als Fest und Tanz.
Im Unterschied dazu kann man im Judentum eine auffallend grosse Lebensbejahung und Kreativität feststellen. Woher das kommt, ist schwer zu sagen. Vielleicht hat sich das jüdische Volk trotz oder wegen seiner Leidensgeschichte  ein feineres Gespür und eine grössere Dankbarkeit für die kleinen Freuden und Belustigungen des Lebens bewahrt. Tatsächlich fanden und finden in den Diskussionen der jüdischen Gelehrten Prüderie und Lustfeindlichkeit kaum Platz; dagegen spielte das Vergnügen eine umso größere Rolle. Kurz nach der Zeitenwende taten berühmte und sehr ernste jüdische Gelehrte diesen Ausspruch: Wenn die alte Welt zur Neige geht und Gottes neue Welt anbricht muss der Mensch Rechenschaft ablegen über alles, woran sein Auge Gefallen fand und was er dennoch nicht genoss.
Gewiss haben die Gelehrten damals nicht nur an das Auge gedacht. Gefallen finden wir doch auch an einem schönen Musikstück, an einem guten Essen, am Duft des Waldes, an einem erheiternden Witz, an der Unbeschwertheit der Kinder, am Übermut der Jugendlichen... Wir haben einmal Rechenschaft abzulegen über alles Schöne und Vergnügliche, das wir nicht genossen haben.
Es ist ja nicht so, dass Jesus nur Selbstverleugnung und Verzicht gepredigt hätte. Wie oft hat er doch mit verschiedenen Leuten gegessen und getrunken (vgl. Markus 2,15-17 u.ö.). Kindern legte er die Hände auf und umarmte sie (vgl. Markus 10,16). Sein Hinweis auf die Vögel des Himmels und auf die Lilien des Feldes (Matthäus 6,25-34) und die vielen Gleichnisse, die von den Wundern der Natur inspiriert sind, machen es deutlich: Jesus hat das alles nicht nur gesehen, er hat es auch genossen und gekostet. Und zu seinem Gedächtnis sollen diejenigen, die ihm vertrauen, zu einem Mahl zusammenkommen mit Brot und Wein...
Glauben bedeutet doch auch, sich von der Lebensfreude Jesu anstecken zu lassen.

Hermann-Josef Venetz

samedi 8 février 2014

HEUTE



Heilige Benoît, Br. Gelineau, Tamié

 Hier eine jüdische Erzählung, die in verschiedenen Varianten zu uns gekommen ist. Sie setzt den Psalm 95 voraus, der im Stundengebet der katholischen Kirche jeden Morgen gebetet wird. Der Vers, auf den die Erzählung Bezug nimmt, lautet: O, dass ihr doch heute auf seine Stimme hört; verhärtet eure Herzen nicht…

Eines Tages fragte Rabbi Josua ben Levi (1. Hälfte des 3. Jahrhunderts) den Propheten Elija: ‚Wann wird der Messias endlich kommen?’
Elija antwortete: ‚Geh doch zu ihm hin und frag ihn selbst.’
Da sagte Rabbi Josua: ‚Wo ist er denn?’
Elija antwortete: ‚An den Toren Roms.’
‚Und wie werde ich ihn erkennen?’
‚Er sitzt unter den aussätzigen Bettlern. Während aber diese ihre Bandagen alle auf einmal abnehmen und dann die neuen anlegen, löst der Messias seine Bandagen einzeln ab und legt die neuen einzeln wieder an. Er denkt sich nämlich, dass Gott ihn jeden Augenblick rufen könnte, um die Erlösung zu bringen. So hält er sich in ständiger Bereitschaft.’
  
Rabbi Josua ging, erkannte ihn und grüsste ihn: ‚Friede sei mit dir, Meister und Lehrer!’
‚Friede sei mit dir, Sohn Levis!’
‚Wann wirst du kommen, Meister?’
‚Heute.’
Später beschwerte sich Rabbi Josua ben Levi bei Elija: ‚Der Messias hat mich angelogen. Er sagte, dass er heute kommen wird, und er ist nicht gekommen.’
Elija sagte: ‚Du hast nicht gut hingehört. Er hat dir doch den Psalm 95 zitiert: Heute — wenn ihr nur auf seine Stimme hört!

Hermann-Josef Venetz

samedi 1 février 2014

Die Welt retten?


 Die Frage nach dem Tun beschäftigt die Menschen solange sie leben. Was sollen, müssen, können, dürfen wir tun? Alles liegt am Tun der Menschen. Es ist, als ob alles machbar sei. Wir Menschen sind geradezu genötigt, ‚Macher’ zu sein.


 Hier eine kleine Geschichte von unseren jüdischen Glaubensbrüdern überliefert:
Ein junger Mann kommt zu einem Rabbi mit der Frage: »Was kann ich tun, um die Welt zu retten?«
Der Weise antwortet: »So viel, wie du dazu beitragen kannst, dass morgen die Sonne aufgeht.«
»Aber was nützen denn all meine Gebete und meine guten Taten, mein ganzes Engagement?«, fragt der junge Mann.
Darauf der Weise: »Sie helfen dir wach zu sein, wenn die Sonne aufgeht.«
Der junge Mann sieht die Welt am Abgrund; sie muss gerettet werden. Was kann er dafür tun?

Die Antwort des Weisen ist ernüchternd, wenn nicht enttäuschend oder gar zynisch: »So viel, wie du dazu beitragen kannst, dass morgen die Sonne aufgeht.« So wenig, wie du dazu beitragen kannst, dass morgen die Sonne aufgeht, so wenig kannst du auch dazu beitragen, die Welt zu retten. Im Klartext heisst das: »Nichts!«

Für den jungen Mann, der doch guten Willens ist, der die Not der Welt sieht und ihr zu Hilfe kommen möchte, für diesen Mann muss eine solche Antwort enttäuschend sein. Er möchte sich doch zur Verfügung stellen mit allem was er weiss und kann, und er zählt auch alles auf, was er bereits für die Rettung der Welt unternommen hat: all seine Gebete und seine guten Taten, sein ganzes Engagement. Nützt das alles nichts?

Die Rettung der Welt hat etwas mit dem Kommen des Reiches Gottes zu tun. Es ist das Reich Gottes das Kommen soll, wie wir im Vaterunser beten, nicht unser Reich. Wir sollen das Reich Gottes auch  nicht in unsere eigene Regie nehmen; es würde daraus nur ein Reich nach unseren mickrigen Vorstellungen. Das haben wir bereits und nach unseren Erfahrungen ist es um dieses Reich nicht schade, wenn es untergeht. 

Es ist Gott, der die Welt retten wird; wir würden sie nur nach unserem eigenen Gusto retten und stünden einmal mehr vor dem Abgrund. Wenn aber das Reich Gottes kommt, wenn die Rettung naht, dann wollen und können wir ganz zu Diensten sein. Dann sind wir dabei, wenn die Sonne aufgeht...
Hermann-Josef Venetz