samedi 17 août 2013

Gott als Freiheit und Beziehung


Gott ist im Himmel – so heisst es im Vaterunser. Das meint vor allen Dingen, dass Menschen über ihn nicht verfügen können und auch nicht verfügen wollen. Sie wollen Gott Gott sein lassen. Sie wollen dem, der seinen Namen nicht preisgibt, sondern von sich sagt: Ich bin der Ich-bin-da (Exodus 3,14), das Geheimnis nicht entreissen. Sie wollen ihm die Freiheit lassen, so zu sein, wie er ist und so mit-zu-sein, wie er es für gut und richtig findet. Menschen fahren besser, wenn sie Gott so sein lassen, wie er ist und ihm nicht immer Vorschriften machen, wie er zu sein habe. Aus der Lektüre der Heiligen Schriften wird immer wieder deutlich: Gott ist sehr auf seine Freiheit bedacht; denn jede Einschränkung seiner Freiheit geht auf Kosten des Lebens der Menschen.

Gott ist auch auf die Freiheit der Menschen bedacht, weil ihm an der Beziehung zu den Menschen alles liegt. Beziehung, Liebe kann es ja nur geben, wo Freiheit ist. In diesem Sinn sind auch die Weisungen zu verstehen, die Gott den Menschen gegeben hat: sie sind Garantinnen für ein freies und gelungenes Leben.
Dadurch, dass Menschen zu Gott Vater unser oder auch Mutter unser sagen, werden sie über alle Grenzen und Schranken hinweg zu einer einzigen und einzigartigen Familie zusammengeführt – und Familie besteht ja aus Beziehungen. Menschen, die zu Gott Vater unser oder auch Mutter unser sagen, sind im Innersten und im Tiefsten geschwisterlich. In ihnen lebt die Kraft der Freiheit und der Solidarität mit allen Menschen – auch mit Gott.

Hermann-Josef Venetz

samedi 10 août 2013

Ein politisches Gebet




 Obwohl uns das nicht bewusst und vielleicht nicht einmal recht ist: Das Vaterunser ist zutiefst ein politisches Gebet. Die Bilder und Begriffe, denen wir in diesem Gebet begegnen, hatten zur Zeit Jesu und auch noch in den folgenden Jahrzehnten und Jahrhunderten eine eminent politische Bedeutung: Vater war ein Titel der römischen Kaiser. Das Reich rief sogleich das Römische Imperium in Erinnerung. An Brot war und ist nicht zu denken ohne die nie enden wollenden Kämpfe der Mächtigen vor Augen zu haben, die um die Ressourcen Kriege führen. Die Schulden wurden damals wie heute gnadenlos eingetrieben, auch Völkern und Staaten gegenüber, die sich verschuldet haben.
Mit verschränkten Armen können wir dieses Gebet nicht sprechen. Hingegen können wir uns bei jeder Bitte einbringen und dem Vater im Himmel unsere Hilfe anbieten. Vielleicht so: Dein Reich komme – mit unserer Hilfe kannst du rechnen. Dein Wille geschehe – wir wollen dir dabei zur Hand gehen. Unser tägliches Brot gib und heute – wir wollen es mit den Hungernden teilen.
Mit dem Vater im Himmel können wir die Welt verändern.
Hermann Venet 

samedi 3 août 2013

Ein Gebet zum Verweilen





Ich möchte wetten: Wenn uns jemand nur das Stichwort gibt ‚Vaterunser’ fahren wir gleich fort ‚im Himmel, geheiligt werde dein Name...’ und beten bis zum Schluss, und kaum ist das ‚Amen’ verklungen, stellen wir uns die Frage: ‚Was hab ich jetzt da beim Beten eigentlich gesagt?’ Das ist weiter nicht schlimm, das gehört zur Routine, und zur Routine gehören auch die Zerstreuungen. Nichts ist normaler als das.
Es gäbe ein einfaches Mittel gegen die Routine und auch gegen die Zerstreuung anzugehen: Wir beten nicht täglich das ganze Vaterunser, wir beten täglich nur eine Bitte aus dem Vaterunser, aber diese immer wieder. Zum Beispiel: Dein Reich komme; aber werden wir nicht gleich ungeduldig, wenn wir spontan fortfahren mit ‚Dein Wille geschehe’. Das kommt eben von der Routine her. Tun wir doch dieser zentralen Bitte Dein Reich komme den Gefallen, bei ihr zu verweilen, so dass diese Bitte den ganzen Tag uns begleitet und zu unserer einzigen Bitte wird, ja zum zweiten Ich und dass wir selbst Teil dieser Bitte werden. Was immer wir tun oder erleben, sagen wir einfach Dein Reich komme. Man kann, wenn man Lust hat, diese Bitte mit eigenen Worten formulieren: ‚Komm doch’ oder ‚Sei bei uns’ oder ‚Du bist da’ oder ‚Lass uns leben’ oder ‚Wir sind in deiner Hand’. Und wenn wir auch nur ein paar Sekunden Zeit haben, gehen wir doch die eine oder andere Szene aus dem Leben Jesu durch: wie er den Leuten zuhört oder wie er die Armen beglückwünscht  oder wie er mit ihnen das Brot teilt oder wie er den Leuten Geschichten erzählt oder wie er mit ihnen leidet... Und vergessen wir nicht, uns in diese Bitte hineinnehmen zu lassen: Dein Reich komme – auf meine Hilfe sollst du dich verlassen können.
Jede der Vaterunser-Bitten kann unseren Alltag verzaubern und in neuem Licht erscheinen lassen.

samedi 20 juillet 2013

Entgrenzungen




 Grenzen bieten Sicherheit. Wo Grenzen fallen, werden Menschen verunsichert. Es gibt Leute, für die ist Sicherheit wichtigstes Bedürfnis und wichtigste Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben der Bürgerinnen und Bürger. Für die meisten Menschen gehen  „Friede und Sicherheit“ zusammen und stehen zuoberst der Prioritätenliste.

Es geht dabei nicht nur um staatliche Grenzen. Es gibt auch Grenzen im Umgang miteinander, kulturelle, religiöse und konfessionelle Grenzziehungen. Wer solche Grenzen verwischt, verunsichert die Menschen und wird von der Gesellschaft abgelehnt.

Von Jesus von Nazaret lässt sich (fast) nur Gutes sagen. Er setzte sich für die Armen ein, heilte Kranke, befreite Menschen von verschiedenen Besessenheiten. Dagegen war und ist nichts einzuwenden, weder von der römischen Besatzungsmacht noch von den Frommen damals und heute. Was Jesus zum Verhängnis wurde, waren seine Grenzüberschreitungen: dass er mit dem Zöllner Levi und anderen schlechtbeleumdeten Menschen ass und trank; dass er die stadtbekannte Frau gewähren liess, die ihm die Füsse wusch, mit ihrem offenen Haar trocknete und dann erst noch küsste; dass er sich mit dem heidnischen Hauptmann auf den Weg machte, um dessen Sohn zu heilen; dass er die Ehebrecherin nicht der „gerechten Strafe“ der Steinigung zuführte.

Und dann sprach er erst noch von einem Gott, „der die Sonne aufgehen lässt über Böse und Gute und regnen lässt über Gerechte und Ungerechte“ (Matthäus 5,45). Er verwischt so die Grenze zwischen bös und gut, zwischen gerecht und ungerecht.

Der Gott Jesu ist nicht ein Grenzzieher. Ihm geht es nicht darum, die Guten zu belohnen und die Bösen zu bestrafen; ihm geht es um die Versöhnung. Das hat mit Beliebigkeit nichts zu tun, sehr viel aber mit der entgrenzten, entfesselten Liebe.

Hermann-Josef Venetz


samedi 13 juillet 2013

Mystik des Alltags


 Wie kein anderes Gebet macht uns das Vaterunser auf unseren ganz konkreten Alltag aufmerksam. Es gibt schlicht gar nichts in unserem privaten und gesellschaftlichen Leben, das wir im Vaterunser nicht zur Sprache bringen könnten. Was immer wir seufzen, klagen, uns erhoffen und uns freuen erhält hier den je eigenen Stellenwert und die je eigene Würde. Dabei können wir feststellen, dass dieser unser konkreter Alltag eine ungeahnte Tiefendimension erhält: Unsere Seufzer sind nicht nur Seufzer, unsere Klagen nicht nur Klagen, unsere Freuden nicht nur Freuden. Und unsere Mitmenschen nah und fern sind nicht nur Mitmenschen; sie sind unsere Geschwister, Söhne und Töchter und Kinder des einen Gottes und von diesem Gott leidenschaftlich geliebt. 
 
Das Vaterunser lädt uns ein, 

in unserer Endlichkeit mit dem Unendlichen

eins zu werden.

Hermann-Josef Venetz

samedi 6 juillet 2013

Das Vater Unser Eine ganze Welt

Das Besondere an diesem Gebet liegt darin, dass es das Gebet Jesu ist und dass er seine Jüngerinnen und Jünger lehrte, dieses Gebet zu ihrem zu machen.
In diesem Gebet ist das grosse Anliegen und die befreiende Praxis Jesu auf einmalige und authentische Weise zusammengefasst. Millionen von Menschen, glaubende und zweifelnde, haben dieses Gebet durch all die Jahrhunderte gebetet und beten es immer noch und immer wieder.

Sie beten es in den verschiedensten Ausdrucksmöglichkeiten, die ein Gebet haben kann: sie murmeln es, singen es, meditieren es, kosten jedes Wort aus; sie verweilen bei diesem Gebet im stillen Kämmerlein, auf einer Bergwanderung, in einer Kirche, auf dem Friedhof oder im Zug. In Gruppen möchten sie die Erfahrungen, die sie mit diesem Gebet machen, austauschen. Viele können das Vaterunser überhaupt nur in Gemeinschaft beten, weil es ein Gebet in Wir-Form ist.

Es bietet sich dieses Gebet an zum Solidarisch-Sein mit allen Geschwistern, die zum gemeinsamen Vater beten: mit den Unterdrückten, die Gerechtigkeit ersehnen; mit den Entfremdeten, die nach dem Willen Gottes suchen; mit den Hungernden, den Opfern unserer ungerechten Wirtschaftsordnung; mit den Verschuldeten, die aus der Misere nicht mehr herauskommen; mit den schuldig gewordenen, die um Vergebung bitten; mit den Gefährdeten, die der Versuchung nur mit Mühe widerstehen können; mit den Gläubigen aller Konfessionen und Religionen; ja selbst mit den Ungläubigen, denen Gott doch auch Vater und Mutter ist.

Es gibt tausend Anlässe und tausend Möglichkeiten, in die eigene Welt dieses Gebetes immer wieder einzutauchen.

Hermann-Josef Venetz

jeudi 6 juin 2013




Auf den Fremden hören

König David meinte es sicher gut, als er dem Propheten Natan von seinem Plan sprach, dem Ewigen doch auch ein Haus zu bauen, so wie er, der König, sich eines aus Zedernholz gebaut hat. Was für den König recht ist, soll für Gott nur billig sein. 
 
Natan, der dieses Ansinnen Gott vorlegte, kam mit negativem Bescheid zu David zurück. Durch all die Jahre hindurch ist Gott in einem Zelte wohnend mit seinem Volk gegangen und nie hat er den Wunsch geäussert, in einem Haus zu wohnen. Gott lässt sich  nicht einschliessen. Er möchte mit seinem Volk sein, wohin immer es geht. Dazu genügt ein Zelt, wie auch die Menschen in Zelten wohnen. Ein Palast würde ihn nur blockieren.
Jahre später setzte König Salomo Davids Absicht doch durch: Er baute Gott einen Tempel. 

Das 1. Buch der Könige, Kapitel 8, berichtet nicht nur von der Ansprache Salomos an die Gemeinde anlässlich der Tempelweihe, sondern zitiert auch des Königs ganz persönliches Gebet und seine Gebete für das Volk. Seine Bitte geht aber noch darüber hinaus, wenn er zu Gott betet: „Auch den Fremdling, der nicht zu deinem Volk gehört und von fernen Ländern kommt und hier betet, mögest du, Ewiger, erhören und alles tun, um was der Fremdling zu dir ruft.“

Fast hat man den Eindruck, Salomo wolle das Ansinnen Davids in korrigierter Fassung vorlegen: Gott soll in einem Hause wohnen, aber auch die Fremden sollen dort bei ihm Gehör finden.
Der christlichen Gemeinde in Korinth ruft der Apostel Paulus zu: „Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid…?“ (1 Kor 3,16)

Offensichtlich haben wir Christinnen und Christen das vergessen, sonst hätten wir ein besseres Gehör für die Fremdlinge in unserer Mitte und für die Fremden, die von fernen Länder kommen.

Hermann-Josef Venetz