samedi 7 juillet 2012

Ein Plädoyer für die Unverschämtheit




Gerade zweimal werden im Lukasevangelium unverschämte Leute als Beispiele hingestellt. Das eine Mal ist es ein Mann, der mitten in der Nacht seinen Freund weckte, um von ihm ein Brot zu borgen. Gewiss hätte der Aufgeweckte den Störefried am liebsten ins Pfefferland gewünscht. Er stand dann aber doch auf und gab ihm, was er brauchte. Nicht wegen der Freundschaft, die er empfand, sondern wegen der Unverschämtheit, mit der ihn dieser mitten in der Nacht aufweckte (Lukas 11,5-8).

Das andere Mal handelt es sich um eine Witwe, die sich von den Gläubigern ihres verstorbenen Mannes bedrängt sah. Sie suchte einen Richter auf, damit er ihr helfe. Der Richter, ein recht kaltblütiger Bursche, schickte die Frau weg. Sie kam aber wieder und wieder, bis es dem Richter zuviel wurde. Zwar kümmerte er sich nicht um sein Ansehen und fürchtete weder Gott noch den Teufel. Aber die Unverschämtheit dieser Frau liess ihn schliesslich doch dazu bewegen, ihre Sache an die Hand zu nehmen (Lukas 18,1-8).

Jesus ist der Überzeugung: Wenn das, was wir von Gott erbitten, in Übereinstimmung ist mit dem, wofür sich dieser Gott selbst mit seiner ganzen liebenden Leidenschaftlichkeit einsetzt – für die Armen und Hilfsbedürftigen, für die Abgeschobenen und Entrechteten –, dann dürfen wir auch unsere eigene Leidenschaftlichkeit, ja sogar unsere Unverschämtheit in die Waagschale werfen. In spiel bringen riskieren....

Hermann-Josef Venetz

samedi 30 juin 2012


Bei euch soll es nicht so sein
(Markus 10,43)

Für Menschen ist es wichtig, in klaren Strukturen zu leben. Zu diesen Strukturen gehört, dass die einen oben, die anderen unten sind. Vor allem ist es schön, oben zu sein und andere unter sich zu haben.
Kaum hatte Jesus die Gruppe der Jüngerinnen und Jünger bestellt, stritten sie auch schon untereinander, wer unter ihnen der Erste sei.
Jesus reagiert wir folgt: Die Herrscher der Völker unterdrücken ihre Leute und lassen sie ihre Macht spüren. Bei euch soll es nicht so sein! Wer von euch der Erste sein will, soll den anderen dienen...
Jesus propagierte den Umsturz. Dabei sah er sich in der guten Tradition der Seherinnen und Propheten des Gottes Israels, der die Mächtigen vom Thron stürzt und die Reichen mit leeren Händen fortschickt, der andererseits die Unterdrückten aufrichtet und den Hungernden zu essen gibt (Lukas 2,51-53). Das ist die „Hierarchie“, die „heilige Ordnung“, wie sie gemeint ist.
Die Jünger hätten es gern hingenommen, in Jesus den Ersten zu sehen. Aber nicht einmal dazu bot er Hand. Ich bin in eurer Mitte der, der dient (Lukas 22,27). Als er dies dadurch unterstrich, dass er ihnen die Füsse wusch, protestierte Petrus heftig (Johannes 13,8). Wenn das Beispiel Jesu Schule macht, weiss man ja nicht mehr, was oben und was unten ist. Ganz abgesehen davon, dass Petrus seine eigenen Felle – Erster der Gruppe zu sein – wegschwimmen sah...

Hermann-Josef Venetz

samedi 23 juin 2012


Was wollen wir noch mehr?

Jesus hat seine Vertrauten ein Gebet gelehrt, das wohl zum Wesentlichsten der christlichen Tradition gehört: das Vaterunser.

Es beginnt so: Abba, lieber Vater!...

Später im Gebet heisst es: Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.

Was mich bei Jesus immer so fasziniert, ist sein direkter, vertrauter, unmittelbarer Umgang mit Gott. Und was mich noch fast mehr fasziniert: dass er die Seinen ermutigt, ebenso mit dem Vater im Himmel umzugehen: direkt, vertrauensvoll und unmittelbar. Wir können uns direkt an Gott wenden: Abba, lieber Vater, vergib uns unsere Schuld, und wir dürfen fest darauf setzen, dass er uns die Schuld vergibt. Gleichzeitig dürfen wir uns zutrauen, auch unseren Mitmenschen ihre Schuld zu vergeben, und wir dürfen darauf hoffen, dass diese auch unsere Schuld vergeben werden, wenn wir sie darum bitten. Eigentlich ist alles eine Frage geschwisterlichen Vertrauens.

Wenn wir unsere Sünden einem Priester beichten wollen, dann sollen wir das tun; wir dürfen davon ausgehen, dass uns unsere Schuld vergeben wird. Vom Auftrag, auch unseren Mitmenschen zu verzeihen, sind wir dabei allerdings nicht entbunden.

Seien wir dankbar! Wir dürfen uns darauf verlassen, dass der liebe Vater im Himmel uns verzeiht, wenn wir ihn vertrauensvoll darum bitten. Und wir dürfen von diesem Verzeihen auch einander gegenüber Gebrauch machen.

Was wollen wir noch mehr?
Hermann-Josef Venetz

samedi 16 juin 2012

Asche oder Feuer?



Als »guter Katholik« berufe ich mich nicht nur auf die Bibel, sondern auch auf die Tradition. Ob ich dabei immer gut beraten bin? Der Komponist Gustav Mahler soll den Theaterleuten zugerufen haben: »Was ihr Tradition nennt, ist nichts anderes als Bequemlichkeit und Schlamperei.« Für den polnischen Philosophen Stanislaw Brzozowski ist das ständige Hochhalten der Tradition nur eine Form unserer geistigen Faulheit.

Das mag zwar übertrieben klingen; Tatsache aber ist: Mit der Berufung auf »Traditionen« – seien sie politischer, religiöser, kirchlicher, gesellschaftlicher Art – machen wir uns die Dinge zu einfach. Pflichtzölibat der Priester, Ausschliessung der Frauen aus den Leitungsgremien der Kirche, lateinische Messe, kirchliche Ämter und vieles mehr… Das sind Traditionen. Wer sich auf Traditionen beruft, kann sich die Argumente ersparen – ein sicheres Zeichen von Bequemlichkeit und Denkfaulheit. Dabei gilt es doch, uns den Herausforderungen der heutigen Zeit zu stellen und auf die Not der Menschen heute einzugehen.

Der eingangs zitierte Gustav Mahler hielt auch an dem anderen Wort fest, das wahrscheinlich auf Thomas Morus zurückgeht: »Tradition ist nicht das Bewahren der Asche, sondern das Weitergeben des Feuers« – ein Wort, das sich auch Papst Johannes XXIII. zu eigen machte.

Ob manche unserer kirchlichen Traditionen nicht tote Asche bewahren? Oft und oft vermisse ich das Feuer – auch in mir.

Hermann-Josef Venetz

samedi 9 juin 2012


Verkannte Freudenboten
(Jesaja 52,7; 53,8)


In Israel – wie sicher auch sonst wo – gab es Propheten und Propheten. Die einen waren gut bezahlte Beamte, Sprachrohre der Machthaber, PR-Leute und Werbetexter. Die anderen waren von Gott gerufen. Meist nur widerwillig folgten sie seinem Ruf. Echte Propheten waren und sind eben vielfach Unheil-Propheten. Sie wurden und werden meist mundtot gemacht, verhaftet, umgebracht.

Aber dann kam einmal einer – es war gegen Ende des Babylonischen Exils, so in den 50-er Jahren des 6. Jahrhunderts vor Christus –, der verkündete im Namen des Namenlosen nicht Unheil, sondern Frieden. Ein richtiger Freudenbote. Er verkündete Gottes Kommen und die baldige Befreiung des Volkes, die endliche Rückkehr in das verheissene Land. Viele freilich konnten in der politischen und sozialen Situation, in der sie lebten, keine Anzeichen Gottes, keine Anzeichen von Heil und Frieden sehen. Verständlich: wir hören ja auch nicht gern von der grossen Wende, wenn wir doch gerade dabei sind, uns einzurichten und anzupassen und zu geniessen.

Der Prophet insistiert: Gott kann etwas ganz Neues machen; er wird euch nicht auf eure Vergangenheit festnageln; er ist ganz anders als ihr denkt.

Es nützte alles nichts. Für die gescheiten Skeptiker kam eine Wende ungelegen; sie haben den Freudenboten umgebracht.

Hermann-Josef Venetz



samedi 2 juin 2012

Samedi 2 juin 2012


Gottes schlechter Ruf

Bereits wenn wir das Wort »Gott« hören, ziehen wir den Kopf ein. Mit »Gott« bringen wir sogleich die »Gebote« in Zusammenhang, die wir eben nicht immer halten. Und so plagt uns das schlechte Gewissen. Kommt dazu, dass er uns vorwurfsvoll den Gekreuzigten vor Augen führt, der »für unsere Sünden gestorben« ist. Und wenn er dann noch mit der »Hölle« droht, ist es endgültig aus.

Noch etwas anders ist dem guten Ruf Gottes abträglich. Wenn er »allmächtig« ist, wie wir sagen, muss er doch auch verantwortlich gemacht werden für all das Böse, das in dieser Welt geschieht. Nicht dass er alles Böse verursacht, aber er verhindert es auch nicht – trotz seiner Allmacht. Zugegeben, manch Schlimmes, das geschieht, müssen wir oder »die Menschen« auf die eigene Kappe nehmen – ich denke an Kriege, an Hungersnöte, Flüchtlingsströme... Aber musste denn Gott die Menschen so erschaffen, dass sie sich gegenseitig bestehlen, bekriegen und umbringen?

Man soll jetzt nicht mit der »Freiheit« kommen. Gehört denn zur Freiheit, dass die Menschen übereinander herfallen? Gut, wir haben die Freiheit, es nicht zu tun. Aber haben wir diese Freiheit wirklich?

Wir können es drehen und wenden wie wir wollen: Am Schluss hat doch immer wieder Gott den Schwarzen Peter in der Hand; er ist der Allmächtige, also trägt er letztlich auch die Verantwortung – es sei denn, er sei verantwortungslos. Aber wer will es schon mit einem verantwortungslosen Gott zu tun bekommen?

In solche Sackgassen müssen unsere Überlegungen führen, wenn wir über Gott reden wie über die Bundespräsidentin oder über die letzte Sonnenfinsternis oder über die Finanzkrise.

Gott ist nicht ein Objekt, über das wir nach unseren eigenen Vorstellungen reden oder verfügen können, und wir sind auch für Gott nicht Objekte, über die er so oder anders walten kann, einmal belohnend, einmal strafend. Diesen Gott können und sollen wir vergessen. Zum einen, weil wir ohne ihn besser fahren, zum anderen, weil es ihn nicht gibt.

Der Gott, an den wir glauben, ist nicht der, der uns aus Distanz kritisch beobachtet, sondern der oder die, die uns in jedem Augenblick näher ist als wir es uns selber sind. Es ist der Gott, dessen Name Zuneigung ist. Von dieser Zuneigung heisst es in der Bibel u.a. (1. Korinther 13):

sie ist langmütig und gütig... sie trägt das Böse nicht nach, sie erträgt alles und hält allem stand...
Sie hört niemals auf.

So ist Gott: der bedingungslos Liebende. Sie hält Ausschau nach Mit-Liebenden. Wenigstens das sollten wir ihm nicht zum Vorwurf machen.

Hermann-Josef Venetz


vendredi 6 avril 2012


Kurzer Prozess
(Markus 14-15)
Dass Jesus nicht einfach von „den Juden“, sondern von einem römischen Exekutionskommando zu Tode gebracht wurde, steht fest. Warum die Römer den Nazarener in einem Schnellverfahren hinrichteten, kann man höchstens vermuten. Für Rom war Jesus eine Art Sicherheitsrisiko. Mit Leuten, die die Gesellschaft destabilisieren, wie man sagt, macht man kurzen Prozess. Die Verurteilung Jesu aus fadenscheinigen Gründen und sein Tod mit all dem blamabeln Drum und Dran machte seinen Anhängerinnen und Anhängern arg zu schaffen. Für den Künder der Nähe Gottes hätten sie sich einen gehaltvolleren Prozess und einen würdigeren Tod vorstellen können als die für Terroristen und aufständische Sklaven bestimmte Hinrichtung am Kreuz. Die ersten Christinnen und Christen versuchten nicht, den Realismus – fast hätte ich gesagt: die Sinnlosigkeit – des Todes Jesu irgendwie schön zu färben. Mit dem Bekenntnis, dass Gott ihn von den Toten auferweckt hat, wollten sie auch nicht über die Scheusslichkeit des Todes Jesu und der vielen anderen Tode hinwegtäuschen. Im Gegenteil. Es ist, als ob sie mit dem Erzählen des Todes Jesu kundtun wollten, dass Gott kein Weg zu weit und kein Abgrund zu tief und kein Tod zu absurd ist, um die Menschen dort heimzusuchen, wo sie sind: bedroht von Hunger und Krieg, gefangen in Selbstgerechtigkeit, fern von Gott.

Hermann-Josef Venetz