Ihr
Frauen, ordnet euch den Männern unter!
Diese
Aufforderung steht in der Bibel. Im 5. Kapitel des Briefes an die
christliche Gemeinde in Ephesus. Bis vor wenigen Jahren gehörte
dieser Satz zum eisernen Bestand der Liturgie bei kirchlichen
Trauungen. Heute versucht man je länger je mehr, Lesungen dieser Art
zu umgehen; sie passen ganz einfach nicht mehr zu unserem Welt- und
Menschenbild.
Aber:
Führt ein solcher Umgang mit der Bibel nicht in die
Beliebigkeit? Passen wir so die Bibel nicht unserem Zeitgeist an?
Ja,
der Zeitgeist! Zu oft vergessen wir, dass es auch zu biblischen
Zeiten einen Zeitgeist gab, sei es, dass die biblischen Verfasser
davor warnten, sei es, dass sie selber immer wieder dem Zeitgeist
verfielen.
Im
gleichen Epheserbrief lesen wir nur wenige Verse später:
Ihr
Sklaven, gehorcht euren irdischen Herren mit Furcht und Zittern…
(Epheser 6,5).
Ich
zweifle keinen Augenblick daran, dass sowohl die Aufforderung an die
Frauen als auch die an die Sklaven von Männern – eben ‚Herren’
– niedergeschrieben wurden. Sie haben so ihren eigenen Zeitgeist
von der Überlegenheit des Mannes über die Frau und der ‚Herren’
über die ‚Untertanen’ in die Bibel hineingetragen. Sie waren nie
in der Schule des Nazareners, für den die Frauen nicht weniger
galten als die Männer und der für die Sklaverei überhaupt nichts
übrig hatte. Im Gegenteil. Er verstand sich ganz im Auftrag jenes
Gottes, dem alles daran gelegen war, sein Volk aus der Sklaverei zu
befreien, und mit seinem Volk glaubte er, dass Mann und Frau
nach dem Bild und Gleichnis Gottes erschaffen sind.
Zur
Zeit Jesu wie zur Zeit des Epheserbriefes war die Welt von der
Zweitrangigkeit der Frau wie von der Richtigkeit der Sklaverei
überzeugt. Sklavenaufstände und Gleichstellungsbestrebungen wurden
von den Machthabern, den ‚Herren’, mit brutaler Gewalt
unterdrückt. Wenn der Verfasser des Epheserbriefes die Sklaven
auffordert, ihren irdischen Herren zu gehorchen, und die Frauen
auffordert, ihren Männern untertan zu sein, gibt er dem damaligen
Zeitgeist nach und steht im Widerspruch zum Geist Jesu, der gekommen
ist, die Menschen von allen politischen, wirtschaftlichen und
religiösen Zwängen zu befreien.
Beim
Lesen der Bibel werden wir jeweils genau hinsehen müssen, wes
Geistes Kinder die Verfasser waren. Nicht immer waren sie vom guten
Geist geleitet; nicht selten verfielen sie dem jeweiligen Zeitgeist –
eine Versuchung, die durchaus verständlich ist und von der auch die
spätere Kirche nicht immer verschont blieb.
Achten
wie also beim Lesen der Bibel auf den jeweiligen Zeitgeist. Auf
den damaligen, aber auch auf den heutigen. Das verlangt von uns einen
kritischen Umgang sowohl mit unserer Zeit, wie auch mit der Bibel.
Hermann-Josef
Venetz
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