lundi 12 octobre 2015

Ehe als Vision
 Marc Chaggal

Die biblischen Darstellungen von den Anfängen der Welt und der Menschen, wollen uns nicht sagen, was vor vielen tausend Jahren passiert ist. Das ist Sache der Naturwissenschaftler, der Historiker und Ethnologen. Die Bibel hat uns viel Wichtigeres zu sagen. Auf unterhaltsame Art erzählt sie, wie es um uns Menschen steht, um das Verhältnis zwischen Frau und Mann, um das Verhältnis auch zwischen Gott und uns Menschen. Die biblischen Schriftsteller wussten: Von Gott kann man nur in Bildern und Gleichnissen reden. Und diese sind wahrer und fantasievoller als Fakten und Zahlen.
Nach dem Schöpfungsbericht in Genesis 2,4ff tritt Gott bei der Erschaffung des Menschen zuerst als Töpfer auf. Er verarbeitet Erde und Wasser zu einem menschenähnlichen Gebilde. Aber das ist noch nicht alles. Damit dieses Gebilde ein Mensch wird, bläst ihm Gott seinen eigenen Lebensatem in die Nase. Das sagt sehr viel über den Menschen: Er ist aus der Erde genommen, also mit der Erde verwandt, aber er lebt aus der Mund-zu-Mund-Beatmung durch Gott.
Aber es geht noch weiter. Gott selbst muss feststellen: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist; er muss ein Wesen neben sich haben, das zu ihm passt und ihn gewissermassen ergänzt. Und jetzt tritt der Ewige als plastischer Chirurg auf. Er lässt einen Tiefschlaf d.h. eine Art Narkose über den Menschen kommen, entnimmt ihm eine Rippe, füllt die Stelle mit Fleisch, damit das Wesen, das da wird, ja nicht zu kurz kommt, und formt die Rippe zu einer Frau. Dann führt er diese wie ein Brautführer dem Menschen zu. Und jetzt geht ein Freudenschrei des Menschen durch die Welt: Endlich! Das ist sie! Eine wie ich! Eine, mit der ich eins werden kann; sie ist ja von mir genommen!

In diesem Monat versammeln sich Bischöfe der römisch-katholischen Kirche mit dem Papst zur sogenannten Familiensynode. Schade, dass da nur unverheiratete Männer zusammenkommen. Aber lassen wir das. Meine Hoffnung ist die, dass sich diese Männer von den wunderbaren Bildern der Bibel faszinieren lassen und nicht gleich wieder Regeln und Gesetze daraus machen. Die Bibel zeichnet uns einen Gott, der grösser und liebevoller ist als unser Herz, grösser und fantasievoller auch als all unser Denken. Die Vision des Reiches Gottes – dazu gehört eben auch die Ehe – lässt sich nicht in Gesetze einfangen. Für die Vision des Reiches Gottes können wir uns immer nur öffnen, damit wir und unsere Welt jeden Tag friedlicher, gerechter und glücklicher werde. So beten wir auch täglich: Dein Reich komme!
Hermann-Josef Venetz

jeudi 8 octobre 2015

Bibel und Liturgie (2)

Die junge Kirche und ihr Gottesdienst 

Maximino Barrezo
 

Jesus selbst hatte gegenüber der Liturgie eine ambivalente Haltung; vergleiche dazu den vorausgehenden Beitrag. Es braucht uns also nicht zu erstaunen, wenn wir diese etwas verwirrende Haltung auch in den jungen christlichen Gemeinden wiederfinden.
1. Die Apostelgeschichte berichtet uns wie selbstverständlich, dass die Jerusalemer Christinnen und Christen täglich im Tempel weilten (2,46), dass die Apostel Petrus und Johannes zum Gebet der neunten Stunde zum Tempel hinaufstiegen (3,1), dass Paulus und seine Begleiter am Sabbat die Synagogen aufsuchten (18,4 u.ö.) usw.
2. Andererseits finden wir aber – ganz im Gefolge Jesu – auch kultkritische Bemerkungen in christlichen Kreisen. Der Evangelist Matthäus legt Jesus zweimal (!) das Prophetenwort aus Hosea 6,6 in den Mund: Ich will nicht, dass ihr mir Opfer bringt, sondern dass ihr barmherzig seid (Matthäus 9,13; 12,7). Paulus (1.Korintherbrief  10,1-5) und Johannes  (4,23; 6,63) mussten allem Anschein nach Haltungen kritisieren, die die Teilnahme am Sakrament auch schon als sichere Teilnahme am Heil deuteten. 
3. Dann wiederum kann man feststellen, dass die jungen Gemeinden, was die Gestaltung ihrer Gottesdienste anbelangt, ziemlich frei vorgegangen sind, wie das ein Blick nach Korinth (1. Korintherbrief 14) zeigt oder ein Blick in jene Gemeinden, denen Jakobus empfiehlt, dass der Kranke die Presbyter zu sich rufen solle, damit sie über ihn beten und ihn mit Öl salben sollen (5,13-16). Das grosse Liedgut, das wir in den verschiedenen Briefen des Paulus und in der Offenbarung des Johannes finden, zeugt von einer lebendigen Kreativität, mit welcher die ersten Christinnen und Christen Hymnen und Gesänge gedichtet und komponiert haben, die ihren Ort in der Liturgie hatten.
All diese Feststellungen mögen verwirrend sein und erklären vielleicht auch unsere heutige Hilflosigkeit gegenüber dem Liturgischen. Aber hat dieses Verwirrende nicht mit unserem Glauben selbst zu tun, den wir in unseren Gottesdiensten feiern? Sooft ihr dieses Brot esst und den Kelch trinkt, verkündet ihr den Tod des Herrn, bis er kommt (1. Korinther 11,26).
Ist es denn nicht in sich verwirrend, den Tod des Herrn zu feiern ...?
Hermann-Josef Venetz

jeudi 1 octobre 2015

BIBEL UND LITURGIE (1)


Ein Blick auf Jesus

Mit der Liturgie haben wir unsere liebe Not. Das überrascht mich nicht, wenn ich feststellen, dass es den ersten Christinnen und Christen nicht anders ergangen ist. Warum eigentlich? Ich denke, es liegt (wieder einmal) an Jesus. Im Lesen der Evangelien mache ich folgende drei Beobachtungen.

1. Als frommer Jude nahm Jesus an den liturgischen Feiern und Gottesdiensten seiner Zeit teil. Er ging gewohnheitsmässig in die Synagoge (Markus 3,1 u.ö.), suchte den Tempel auf  (12,35 u.ö.), feierte mit den Seinen das Passahmahl (14,12ff), sang und betete die liturgischen Lieder und Gebete (14,26) und kannte und vollzog die liturgischen Gesten: Er warf sich nieder (14,35), er erhob die Hände, er blickte zum Himmel, er sprach das Segensgebet (6,41; 7,34). Seine Gefolgschaft verstand ihn als Meister des Gebets: Er sollte die Seinen beten lehren (Lukas 11,1). All diese Szenen zeigen Jesus in der guten alten Tradition der Gottesdienste seiner Zeit.
2. Ein zweiter Blick auf Jesus von Nazaret sagt mir aber auch, dass er den Gottesdiensten und Liturgien seiner Zeit nicht unkritisch gegenüberstand. Es kam vor, dass er beim Gottesdienst am Sabbat die Akzente anders setzte, so wenn er den Mann mit der gelähmten Hand in die Mitte rief und ihn heilte (Markus 3,1-6) oder die Sorge um die Eltern als wichtiger ansah als die Opfergabe (7,6-13). Das sichtbare Sich-hin-Stellen zum Gebet in den Synagogen und an den Strassenecken entlarvte er als Schauspielerei (Matthäus 6,5). Vom Herr-Herr-Sagen, von Exorzismen und Wunderwirken hielt er nicht eben viel (7,21-23). Sein machtvolles Auftreten im Tempel und sein prophetisches Wort gegen das Gotteshaus haben viele Menschen damals vor den Kopf gestossen (Markus 11,15-19; 14,55-58). Auch hier stand Jesus in einer guten alten Tradition: in der Tradition der Propheten, die mit ihrer Kritik am Tempel und an den Gottesdiensten nicht sparten (vgl. z.B. Amos 5,21-27; Jeremia 7,1-11; Jesaia 58).
3. Und wenn ich noch einen weiteren Blick auf Jesus von Nazaret werfe, stelle ich eine gewisse ‚liturgische Kreativität’ fest: Er umarmt Kinder, legt ihnen die Hände auf und segnet sie (Markus 10,16) – Gesten, die liturgisch anmuten. Wie Liturgien hören sich auch die Berichte von den Blindenheilungen an (Markus 8,22-26; Lukas 18,35-43). Der Einzug Jesu in Jerusalem trägt die Züge einer Prozession (Markus 11,1-11). Das Letzte Mahl mit den Jüngern berichtet von Gesten und Deuteworten, die damals ungewohnt waren (Markus 14,22-25).

Das alles ist jetzt vielleicht etwas verwirrend, aber es passt doch eigentlich recht gut in das Bild, das uns die Evangelien von Jesus zeichnen: sein Eingebundensein in das Volk, zu dem er gesandt ist, das Prophetische, ohne das er gar nicht zu verstehen ist, das Eigenständige, das immer wieder überrascht. Ist es so verwunderlich, wenn auch die ersten christlichen Gemeinden und ihre Gottesdienste ähnliche Züge tragen?

Hermann-Josef Venetz


mardi 22 septembre 2015

DIE BIBEL – EIN BUCH FÜR ALLE SINNE (II)


Mit der Bibel die Welt entdecken



Wir können mit den Sinnen die Bibel entdecken. Auch das Umgekehrte ist richtig: Je besser wir die Bibel verstehen, desto besser werden wir auch acht geben auf unsere Sinne und mit ihnen Leben entdecken.

Schmecken
Dass man die Nähe Gottes mit einem Mahl, mit Essen und Trinken in Zusammenhang bringen kann (Matthäus 8,11; Lukas 14,15), veranlasst mich, von der Bibel oder mit der Bibel zurück zu unseren Mählern zu kommen. Sollten sie – auch im Familienkreis –  nicht so etwas wie Vorwegnahmen des endzeitlichen Mahles sein und von der Nähe Gottes künden?

Sehen
Wenn mir die Bibel bereits auf der ersten Seite deutlich macht, dass Gott gesehen habe, dass alles, was er gemacht habe, gut war (Genesis 1), dann werde ich mit anderen Augen dem Frühling begegnen. Und wenn ich in der Bibel lese, dass Gott das Elend seines Volkes in Ägypten gesehen hat und herabgestiegen ist (Exodus 3,7), dann werde auch ich, von der Bibel inspiriert, das Elend der Flüchtlinge sehen, aus mir heraus kommen und für die Verfolgten Partei ergreifen.

Hören
Wenn ich mit dem Psalmisten Gott inständig bitte, dass er doch sein Ohr zu mir wende, dass er aufmerke auf mein Flehen (86,1.6), dann werde ich mit diesem Gebet und mit der Bibel in der Hand in mein Leben zurück kommen und dankbar sein, wenn Menschen mir zuhören und dankbar sein, wenn es mir gelingt, selbst den Menschen zuzuhören – gerade den Sprachlosen und Hilfsbedürftigen.

Riechen
Wenn Gott die Opfer nicht riechen kann (Amos 5,21f), oder wenn das Gebet wie Weihrauch vor das Angesicht Gottes steigen soll (Psalm 141,2), oder wenn die Gemeinde Wohlgeruch Christi für Gott sein möge (2. Korintherbrief 2,15), dann werde ich, von der Bibel aufmerksam gemacht, auf meinen Geruchsinn besser acht geben und Menschen wieder riechen können, auch wenn sie verschwitzt sind, oder wenn der Raum, in dem eine Gebetsgruppe eine Stunde lang beisammen war, nicht nur nach Weihrauch duftet.

Tasten
Wenn Jesus das Gesicht der Blinden betastet (Mattäus 9,29) oder die Schwiegermutter des Petrus bei der Hand nimmt (Markus 1,31), oder wenn Jesus sich berühren lässt – von der blutflüssigen Frau (5,27), oder von jener, die in der Stadt als Sünderin gilt (Lukas 7,38), dann werde ich deswegen zwar noch nicht wahllos allen Menschen auf die Schultern klopfen, aber ich werde mit einer diskreten Geste Brücken schlagen können, die zueinander führen.

Zwei Thesen möchte ich abschliessend formulieren, die einander ergänzen oder bedingen:
Je besser ich mit meinen Sinnen umzugehen weiss, desto besser werde ich die Bibel verstehen können;
und je besser ich die Bibel verstehe, desto besser werde ich meine Sinne einsetzen und Leben entdecken können, mein Leben verändern, mein Leben auch einzusetzen wagen.

Hermann-Josef Venetz

jeudi 17 septembre 2015

DIE BIBEL – EIN BUCH FÜR ALLE SINNE (I)



Mit den Sinnen die Bibel entdecken



Die Bibel ist ein sinnliches Buch. Um sie zu verstehen, sind an erster Stelle nicht komplizierte wissenschaftliche Vorüberlegungen oder Kenntnisse in Hebräisch und Griechisch gefragt. Gefragt sind zuerst und vor allem ein verwöhnter Geschmackssinn, ein geübtes Ohr, ein zarter Tastsinn, offene Augen und ein feiner Geruchsinn.

Schmecken
Der Prophet Jesaja schildert das endzeitliche Gastmahl mit diesen Worten: Gott wird auf diesem Berg für alle Völker ein schmackhaftes Mahl bereiten, ein Gelage mit erlesenen Weinen, mit den besten und feinsten Speisen… (25,6). Wie sollen wir uns das vorstellen, wenn wir einen samtenen Pinot noir oder eine gut gewürzte Tomate oder einen saftigen Spargel nicht zu schätzen wissen?

Sehen
Im Schöpfungsbericht heisst es das eine um das andere Mal: Gott sah, dass es gut war…(Genesis 1). Gott machte das Wild des Feldes nach seinen Arten, das Vieh nach seinen Arten und alles Gewürm auf dem Erdboden nach seinen Arten... Und Gott sah, dass es gut war (1,24-25). Da gilt es, die Augen offen halten. Wer noch nie mit wachen Augen einen Regenwurm angeschaut und daran seine Freude gehabt hat, wird nie eine Ahnung von Gott bekommen.

Hören
Im Psalm 86 spricht der Beter oder die Beterin: Neige, Gott, dein Ohr und höre mich... (86,1), und weiter: Vernimm mein Gebet, merk auf meine flehende Stimme (86,6). Das kann doch nur jemand verstehen, der selber die verschiedenen Nuancen der menschlichen Stimme, auch des menschlichen Klagens, wahrzunehmen vermag. Es gibt auch falsche Töne; auch die muss ich zu unterscheiden wissen. Der Prophet Amos lässt Gott sagen: Verschont mich mit dem Lärm eurer Lieder! Das Spiel eurer Harfen will ich nicht hören (5,23).

Riechen
Paulus sagt im 2. Korintherbrief: Wir sind Christi Wohlgeruch für Gott... (2,15) Wie soll jemand diesen Satz verstehen, wenn er noch nie den Duft von blühendem Flieder oder von nackter menschlicher Haut in sich aufgenommen hat? Gewiss begegnen uns in der Bibel nicht nur Wohlgerüche. Der eben erwähnte Prophet Amos sagt im Auftrag Gottes: Eure Opferfeiern und eure Volksversammlungen kann ich nicht riechen (5,21f).

Tasten
Es ist kaum zu glauben, wie oft in den Evangelien davon die Rede ist, dass Jesus Menschen berührte oder Leute Jesus berührten. In Markus 7 geht es um einen Taubstummen: Jesus nahm ihn aus der Menge heraus beiseite, legte ihm seine Finger in die Ohren und berührte seine Zunge mit Speichel... (7,33). Berührungsängste sind hier fehl am Platz.
Hermann-Josef Venetz

mardi 15 septembre 2015

»REFORMIERT EUCH!«




  Ayaan Hirsi Ali en 2006 (Koen van Weel/Reuters). 
 
So lautet der Titel eines Buches von Ayaan Hirsi Ali. Der Untertitel lautet: »Warum der Islam sich ändern muss.« Erschienen ist das Buch 2015 im Knaus-Verlag. Die Autorin, Politikwissenschaftlerin, nennt vor allem 5 Punkte, in denen sich der Islam ändern müsse:
1. Mohammed und der Koran dürfen nicht mehr als unfehlbar gelten.
2. Statt über das Leben nach dem Tod zu spekulieren, sollte das Leben vor dem Tod einen grösseren Stellenwert erhalten.
3. Die Scharia, die islamische Rechtsordnung, muss an die Menschenrechte gebunden werden.
4. Der Einzelne soll nicht mehr ermächtigt sein, islamisches Recht durchzusetzen.
5. Der Dschihad soll nicht länger als ‚heiliger Krieg’ geführt werden. Die Gewalt darf auch in religiösen Belangen nicht länger das letzte Wort haben.
Norbert Copray, der das Buch in der Zeitschrift Publik-Forum vom 24. Juli 2015 vorstellt, sagt dazu: »Da ist für viele Muslime ein dickes Brett zu bohren. Und ein Projekt für die kommenden 300 Jahre.«

Ich meine: In einem gewissen Sinne lassen sich die 5 Punkte mit nur wenigen Abstrichen auch auf das Christentum oder unsere Kirchen übertragen.
1. Die Bibel, auch die Evangelien und selbst Jesus, sollten nicht als ‚unfehlbare Grössen’ gelten. Ja, auch Jesus nicht. Wir entreissen ihm sein Menschsein, wenn wir ihm nicht erlauben sich zu irren. Irren ist menschlich. Für den christlichen Glauben ist es unaufgebbar, dass Gott in Jesus Christus Mensch geworden ist. Ein unfehlbarer, irrtumsloser Mensch ist ein Monster. Ganz abgesehen davon, dass Worte Jesu – so es denn welche gibt – von irrenden Menschen niedergeschrieben und weitergegeben wurden.
2. Auch im Christentum ist man immer noch zu sehr darauf bedacht, sich den Himmel zu verdienen, anstatt hier und jetzt für eine friedlichere und gerechtere Welt einzutreten.
3. Die Scharia entspricht in etwa der kirchlichen Rechtsordnung. Unsere kirchliche Rechtsordnung stiesse auch beim gläubigen Volk auf weniger Widerstand, wenn sie stärker an die Menschenrechte gebunden wäre – ich denke hier an die Ungleichstellung von Männern und Frauen in der römisch-katholischen Kirche und an das Heiratsverbot für kirchliche Amtsträger.
4. In der römisch-katholischen Kirche liegt die unfehlbare Definitions- und Interpretationsmacht bei einem Einzelnen, dem Papst. Das, obwohl er sich in der Geschichte nachweislich x-mal geirrt hat – auch in sogenannten Glaubensfragen.
5. Unser Engagement für den Glauben und unser ‚Kampf’ gegen das Böse dürfen nicht dazu führen, dass Andersgläubige ihrer Würde beraubt und Sünder aus der Gemeinschaft ausgeschlossen  werden.
Da ist – so meine ich – auch für viele Christinnen und Christen » ein dickes Brett zu bohren«. Hoffen wir, dass das Projekt für die Verwirklichung nicht 300 Jahre benötigt.
Hermann-Josef Venetz

jeudi 10 septembre 2015

Die Heiligen





Es war einmal ein kleiner Bub. Der lebte in einer grossen deutschen Stadt. In dieser Stadt gab es einen wunderschönen Dom. Mit seinen Eltern hat der Kleine diesen Dom mehrmals besucht. Am meisten beeindruckten ihn die grossen Fenster mit ihren farbigen Gestalten. Als er die Eltern fragte, wer denn diese farbigen munteren und ernsten Gestalten seien, antworteten ihm die Eltern: »Das sind die Heiligen.«
Im Religionsunterricht, den dieser Bub auch eifrig besuchte, kam der Pfarrer kurz vor Allerheiligen auf das Fest zu sprechen und fragte die Kleinen: »Wisst ihr denn auch, wer die Heiligen sind?« Unser Bub überlegte nicht lange, streckte den Finger und antwortete: »Die Heiligen sind die, durch die die Sonne scheint.«
Eine wunderbare Antwort! Freilich bin ich mir nicht ganz sicher, ob sich der Bub auch wirklich bewusst war, wie tiefgründig seine Antwort war. Die Heiligen sind die, durch die die Sonne scheint, die das Licht Gottes brechen.
Wenn wir bei diesem Bild noch etwas verweilen, stellen wir fest: Es gibt überhaupt keine Alternative zu den Heiligen – ähnlich wie bei den Fenstern im Dom. Man könnte die Fenster mit dicker schwarzer Farbe zu überstreichen; aber dann würden wir überhaupt nichts mehr sehen. Man könnte die Fenster auch einfach herausnehmen oder gar einschlagen; aber dann würden wir so geblendet, dass wir bald auch nichts mehr sehen.
Um richtig zu sehen, brauchen wir die Heiligen, brauchen wir licht-durchlässige Menschen. Um eine Ahnung zu bekommen von Gott, brauchen wir verschiedene Heilige. Ich möchte sagen: möglichst viele. Kein einziger Heiliger und keine einzige Heilige vermag das ganze Spektrum des Lichts Gottes zu brechen. Es braucht einen Petrus und eine Maria von Magdala, einen Franz von Assisi und eine Katharina von Siena, eine Edith Stein und einen Martin Luther King, ja es braucht auch dich und es braucht vielleicht sogar mich, damit wir Gott wirklich in seinem vielfältigen Licht und in seiner ganzen Menschenfreundlichkeit erahnen können.
Vielleicht ist das etwas verwegen, wenn ich uns so in die Schar der Heiligen einreihe. Aber sind wir nicht alle Geheiligte – durch die Taufe, durch die Firmung? Sind wir nicht alle zur Heiligkeit berufen? Berufen, einander Licht zu sein – und wenn es auch nur eine kleine Glühbirne oder eine kleine Laterne ist?
Hermann-Josef Venetz