jeudi 10 septembre 2015

Die Heiligen





Es war einmal ein kleiner Bub. Der lebte in einer grossen deutschen Stadt. In dieser Stadt gab es einen wunderschönen Dom. Mit seinen Eltern hat der Kleine diesen Dom mehrmals besucht. Am meisten beeindruckten ihn die grossen Fenster mit ihren farbigen Gestalten. Als er die Eltern fragte, wer denn diese farbigen munteren und ernsten Gestalten seien, antworteten ihm die Eltern: »Das sind die Heiligen.«
Im Religionsunterricht, den dieser Bub auch eifrig besuchte, kam der Pfarrer kurz vor Allerheiligen auf das Fest zu sprechen und fragte die Kleinen: »Wisst ihr denn auch, wer die Heiligen sind?« Unser Bub überlegte nicht lange, streckte den Finger und antwortete: »Die Heiligen sind die, durch die die Sonne scheint.«
Eine wunderbare Antwort! Freilich bin ich mir nicht ganz sicher, ob sich der Bub auch wirklich bewusst war, wie tiefgründig seine Antwort war. Die Heiligen sind die, durch die die Sonne scheint, die das Licht Gottes brechen.
Wenn wir bei diesem Bild noch etwas verweilen, stellen wir fest: Es gibt überhaupt keine Alternative zu den Heiligen – ähnlich wie bei den Fenstern im Dom. Man könnte die Fenster mit dicker schwarzer Farbe zu überstreichen; aber dann würden wir überhaupt nichts mehr sehen. Man könnte die Fenster auch einfach herausnehmen oder gar einschlagen; aber dann würden wir so geblendet, dass wir bald auch nichts mehr sehen.
Um richtig zu sehen, brauchen wir die Heiligen, brauchen wir licht-durchlässige Menschen. Um eine Ahnung zu bekommen von Gott, brauchen wir verschiedene Heilige. Ich möchte sagen: möglichst viele. Kein einziger Heiliger und keine einzige Heilige vermag das ganze Spektrum des Lichts Gottes zu brechen. Es braucht einen Petrus und eine Maria von Magdala, einen Franz von Assisi und eine Katharina von Siena, eine Edith Stein und einen Martin Luther King, ja es braucht auch dich und es braucht vielleicht sogar mich, damit wir Gott wirklich in seinem vielfältigen Licht und in seiner ganzen Menschenfreundlichkeit erahnen können.
Vielleicht ist das etwas verwegen, wenn ich uns so in die Schar der Heiligen einreihe. Aber sind wir nicht alle Geheiligte – durch die Taufe, durch die Firmung? Sind wir nicht alle zur Heiligkeit berufen? Berufen, einander Licht zu sein – und wenn es auch nur eine kleine Glühbirne oder eine kleine Laterne ist?
Hermann-Josef Venetz

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