Es
war einmal ein kleiner Bub. Der lebte in einer grossen deutschen
Stadt. In dieser Stadt gab es einen wunderschönen Dom. Mit seinen
Eltern hat der Kleine diesen Dom mehrmals besucht. Am meisten
beeindruckten ihn die grossen Fenster mit ihren farbigen Gestalten.
Als er die Eltern fragte, wer denn diese farbigen munteren und
ernsten Gestalten seien, antworteten ihm die Eltern: »Das sind die
Heiligen.«
Im
Religionsunterricht, den dieser Bub auch eifrig besuchte, kam der
Pfarrer kurz vor Allerheiligen auf das Fest zu sprechen und fragte
die Kleinen: »Wisst ihr denn auch, wer die Heiligen sind?« Unser
Bub überlegte nicht lange, streckte den Finger und antwortete: »Die
Heiligen sind die, durch die die Sonne scheint.«
Eine
wunderbare Antwort! Freilich bin ich mir nicht ganz sicher, ob sich
der Bub auch wirklich bewusst war, wie tiefgründig seine Antwort
war. Die Heiligen sind die, durch die die Sonne scheint, die das
Licht Gottes brechen.
Wenn
wir bei diesem Bild noch etwas verweilen, stellen wir fest: Es gibt
überhaupt keine Alternative zu den Heiligen – ähnlich wie bei den
Fenstern im Dom. Man könnte die Fenster mit dicker schwarzer Farbe
zu überstreichen; aber dann würden wir überhaupt nichts mehr
sehen. Man könnte die Fenster auch einfach herausnehmen oder gar
einschlagen; aber dann würden wir so geblendet, dass wir bald auch
nichts mehr sehen.
Um
richtig zu sehen, brauchen wir die Heiligen, brauchen wir
licht-durchlässige Menschen. Um eine Ahnung zu bekommen von Gott,
brauchen wir verschiedene Heilige. Ich möchte sagen: möglichst
viele. Kein einziger Heiliger und keine einzige Heilige vermag das
ganze Spektrum des Lichts Gottes zu brechen. Es braucht einen Petrus
und eine Maria von Magdala, einen Franz von Assisi und eine Katharina
von Siena, eine Edith Stein und einen Martin Luther King, ja es
braucht auch dich und es braucht vielleicht sogar mich, damit wir
Gott wirklich in seinem vielfältigen Licht und in seiner ganzen
Menschenfreundlichkeit erahnen können.
Vielleicht
ist das etwas verwegen, wenn ich uns so in die Schar der Heiligen
einreihe. Aber sind wir nicht alle Geheiligte – durch die Taufe,
durch die Firmung? Sind wir nicht alle zur Heiligkeit berufen?
Berufen, einander Licht zu sein – und wenn es auch nur eine kleine
Glühbirne oder eine kleine Laterne ist?
Hermann-Josef
Venetz
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