samedi 24 août 2013

Ti voglio bene





Mit dem Wort „lieben“ tun wir uns schwer. Es kommt nur sehr selten vor, dass wir jemandem sagen: „Ich liebe dich.“ Diese Aussage ist uns zu intim, zu persönlich, zu gefühlvoll, zu romantisch. Im Walliserdeutsch, das ebenerdiger klingt, gibt es diese Wendung überhaupt nicht – oder höchstens in der moderateren Form von „ich ha di gäre“.
Neulich sagte mir ein Mann, dem ich einen kleinen Dienst erwies, am Schluss eines Telefongesprächs: „Du, Hermann, ich ha di gäre.“ Mir blieb die Spucke weg und ich wusste nicht wie darauf reagieren. Ich sagte einfach: „Ja. Tschau, Marco!“ Sicher fand ich deswegen keine Antwort, weil mir noch nie im Leben ein Mann so etwas gesagt hat und weil ich darum auch nicht verstand, was er damit sagen wollte. Denn im „gern haben“ ist wie im „lieben“ zu viel Unbestimmtes, zu viel Verschwommenes, zu viel Unkonkretes, zu viel Schmus enthalten.
Und doch muss es möglich sein, unsere Sympathien, die wir für jemanden empfinden, auch ins Wort zu bringen. „Ich hab dich lieb“ sagt alles – oder eben auch nichts. Im Laufe der Zeit habe ich etwas gefunden, das ich sagen kann ohne zu erröten und ohne jemanden in Verlegenheit zu bringen. Ich kann es auch jemandem sagen, der mir nicht unbedingt sympathisch ist. Handfest und konkret kann ich dem Mitmenschen zu verstehen geben, dass ich zu ihm stehe, was immer auch passieren mag. Und damit es unverfänglicher klingt, sage ich es auf italienisch, das alle verstehen: „Ti voglio bene.“ Ich will dir gut. Ich möchte, dass es dir gut geht, dass du du sein kannst. Dahinter steht nicht undefinierbare Gefühlsduselei sondern die feste Absicht, mein Gegenüber nicht allein zu lassen, ihm in Schwierigkeiten beizustehen, ihm konkret zur Hand zu gehen.
Das „ich will dir gut“ kann man lernen, einüben mit jeder noch so kleinen Handreichung – im Unterschied zur Verliebtheit; die muss man nicht lernen, die ist plötzlich einfach da – und fast unbemerkt verschwindet sie nach einer Weile wieder. Das „ti volio bene“ hat etwas Dauerndes und Bleibendes. Und Konkretes.
Hermann-Josef Venetz

samedi 17 août 2013

Gott als Freiheit und Beziehung


Gott ist im Himmel – so heisst es im Vaterunser. Das meint vor allen Dingen, dass Menschen über ihn nicht verfügen können und auch nicht verfügen wollen. Sie wollen Gott Gott sein lassen. Sie wollen dem, der seinen Namen nicht preisgibt, sondern von sich sagt: Ich bin der Ich-bin-da (Exodus 3,14), das Geheimnis nicht entreissen. Sie wollen ihm die Freiheit lassen, so zu sein, wie er ist und so mit-zu-sein, wie er es für gut und richtig findet. Menschen fahren besser, wenn sie Gott so sein lassen, wie er ist und ihm nicht immer Vorschriften machen, wie er zu sein habe. Aus der Lektüre der Heiligen Schriften wird immer wieder deutlich: Gott ist sehr auf seine Freiheit bedacht; denn jede Einschränkung seiner Freiheit geht auf Kosten des Lebens der Menschen.

Gott ist auch auf die Freiheit der Menschen bedacht, weil ihm an der Beziehung zu den Menschen alles liegt. Beziehung, Liebe kann es ja nur geben, wo Freiheit ist. In diesem Sinn sind auch die Weisungen zu verstehen, die Gott den Menschen gegeben hat: sie sind Garantinnen für ein freies und gelungenes Leben.
Dadurch, dass Menschen zu Gott Vater unser oder auch Mutter unser sagen, werden sie über alle Grenzen und Schranken hinweg zu einer einzigen und einzigartigen Familie zusammengeführt – und Familie besteht ja aus Beziehungen. Menschen, die zu Gott Vater unser oder auch Mutter unser sagen, sind im Innersten und im Tiefsten geschwisterlich. In ihnen lebt die Kraft der Freiheit und der Solidarität mit allen Menschen – auch mit Gott.

Hermann-Josef Venetz

samedi 10 août 2013

Ein politisches Gebet




 Obwohl uns das nicht bewusst und vielleicht nicht einmal recht ist: Das Vaterunser ist zutiefst ein politisches Gebet. Die Bilder und Begriffe, denen wir in diesem Gebet begegnen, hatten zur Zeit Jesu und auch noch in den folgenden Jahrzehnten und Jahrhunderten eine eminent politische Bedeutung: Vater war ein Titel der römischen Kaiser. Das Reich rief sogleich das Römische Imperium in Erinnerung. An Brot war und ist nicht zu denken ohne die nie enden wollenden Kämpfe der Mächtigen vor Augen zu haben, die um die Ressourcen Kriege führen. Die Schulden wurden damals wie heute gnadenlos eingetrieben, auch Völkern und Staaten gegenüber, die sich verschuldet haben.
Mit verschränkten Armen können wir dieses Gebet nicht sprechen. Hingegen können wir uns bei jeder Bitte einbringen und dem Vater im Himmel unsere Hilfe anbieten. Vielleicht so: Dein Reich komme – mit unserer Hilfe kannst du rechnen. Dein Wille geschehe – wir wollen dir dabei zur Hand gehen. Unser tägliches Brot gib und heute – wir wollen es mit den Hungernden teilen.
Mit dem Vater im Himmel können wir die Welt verändern.
Hermann Venet 

samedi 3 août 2013

Ein Gebet zum Verweilen





Ich möchte wetten: Wenn uns jemand nur das Stichwort gibt ‚Vaterunser’ fahren wir gleich fort ‚im Himmel, geheiligt werde dein Name...’ und beten bis zum Schluss, und kaum ist das ‚Amen’ verklungen, stellen wir uns die Frage: ‚Was hab ich jetzt da beim Beten eigentlich gesagt?’ Das ist weiter nicht schlimm, das gehört zur Routine, und zur Routine gehören auch die Zerstreuungen. Nichts ist normaler als das.
Es gäbe ein einfaches Mittel gegen die Routine und auch gegen die Zerstreuung anzugehen: Wir beten nicht täglich das ganze Vaterunser, wir beten täglich nur eine Bitte aus dem Vaterunser, aber diese immer wieder. Zum Beispiel: Dein Reich komme; aber werden wir nicht gleich ungeduldig, wenn wir spontan fortfahren mit ‚Dein Wille geschehe’. Das kommt eben von der Routine her. Tun wir doch dieser zentralen Bitte Dein Reich komme den Gefallen, bei ihr zu verweilen, so dass diese Bitte den ganzen Tag uns begleitet und zu unserer einzigen Bitte wird, ja zum zweiten Ich und dass wir selbst Teil dieser Bitte werden. Was immer wir tun oder erleben, sagen wir einfach Dein Reich komme. Man kann, wenn man Lust hat, diese Bitte mit eigenen Worten formulieren: ‚Komm doch’ oder ‚Sei bei uns’ oder ‚Du bist da’ oder ‚Lass uns leben’ oder ‚Wir sind in deiner Hand’. Und wenn wir auch nur ein paar Sekunden Zeit haben, gehen wir doch die eine oder andere Szene aus dem Leben Jesu durch: wie er den Leuten zuhört oder wie er die Armen beglückwünscht  oder wie er mit ihnen das Brot teilt oder wie er den Leuten Geschichten erzählt oder wie er mit ihnen leidet... Und vergessen wir nicht, uns in diese Bitte hineinnehmen zu lassen: Dein Reich komme – auf meine Hilfe sollst du dich verlassen können.
Jede der Vaterunser-Bitten kann unseren Alltag verzaubern und in neuem Licht erscheinen lassen.