Mit
den Sinnen die Bibel entdecken
Die
Bibel ist ein sinnliches Buch. Um sie zu verstehen, sind an erster
Stelle nicht komplizierte wissenschaftliche Vorüberlegungen oder
Kenntnisse in Hebräisch und Griechisch gefragt. Gefragt sind zuerst
und vor allem ein verwöhnter Geschmackssinn, ein geübtes Ohr, ein
zarter Tastsinn, offene Augen und ein feiner Geruchsinn.
Schmecken
Der
Prophet Jesaja schildert das endzeitliche Gastmahl mit diesen Worten:
Gott wird auf diesem Berg für alle Völker ein schmackhaftes Mahl
bereiten, ein Gelage mit erlesenen Weinen, mit den besten und
feinsten Speisen… (25,6). Wie sollen wir uns das vorstellen,
wenn wir einen samtenen Pinot noir oder eine gut gewürzte Tomate
oder einen saftigen Spargel nicht zu schätzen wissen?
Sehen
Im
Schöpfungsbericht heisst es das eine um das andere Mal: Gott sah,
dass es gut war…(Genesis 1). Gott machte das Wild des Feldes
nach seinen Arten, das Vieh nach seinen Arten und alles Gewürm auf
dem Erdboden nach seinen Arten... Und Gott sah, dass es gut war
(1,24-25). Da gilt es, die Augen offen halten. Wer noch nie mit
wachen Augen einen Regenwurm angeschaut und daran seine Freude gehabt
hat, wird nie eine Ahnung von Gott bekommen.
Hören
Im
Psalm 86 spricht der Beter oder die Beterin: Neige, Gott, dein Ohr
und höre mich... (86,1), und weiter: Vernimm mein Gebet, merk
auf meine flehende Stimme (86,6). Das kann doch nur jemand
verstehen, der selber die verschiedenen Nuancen der menschlichen
Stimme, auch des menschlichen Klagens, wahrzunehmen vermag. Es gibt
auch falsche Töne; auch die muss ich zu unterscheiden wissen. Der
Prophet Amos lässt Gott sagen: Verschont mich mit dem Lärm eurer
Lieder! Das Spiel eurer Harfen will ich nicht hören (5,23).
Riechen
Paulus
sagt im 2. Korintherbrief: Wir sind Christi Wohlgeruch für
Gott... (2,15) Wie soll jemand diesen Satz verstehen, wenn er
noch nie den Duft von blühendem Flieder oder von nackter
menschlicher Haut in sich aufgenommen hat? Gewiss begegnen uns in der
Bibel nicht nur Wohlgerüche. Der eben erwähnte Prophet Amos sagt im
Auftrag Gottes: Eure Opferfeiern und eure Volksversammlungen kann
ich nicht riechen (5,21f).
Tasten
Es
ist kaum zu glauben, wie oft in den Evangelien davon die Rede ist,
dass Jesus Menschen berührte oder Leute Jesus berührten. In Markus
7 geht es um einen Taubstummen: Jesus nahm ihn aus der Menge
heraus beiseite, legte ihm seine Finger in die Ohren und berührte
seine Zunge mit Speichel... (7,33). Berührungsängste sind hier
fehl am Platz.
Hermann-Josef
Venetz
Aucun commentaire:
Enregistrer un commentaire