Ein
Herz für die Armen
Es
stimmt: Jesus war beim reichen Oberzöllner Zachäus zu Gast, er
zählte die wohlhabende Familie des Lazarus zu seinen Freunden, er
liess sich mit kostbarer Narde salben...
Das
bedeutet aber nicht, dass er der sozialen Situation der einzelnen und
des ganzen Volkes gleichgültig gegenüberstand; denn all das hat mit
dem Reich Gottes, das er verkündete, sehr wohl etwas zu tun –
und mit dem Glauben, zu dem er einlud.
Jesus
wusste sich an erster Stelle zur verarmten Bevölkerung gesandt. Von
dieser Sendung war auch seine Wahrnehmung geschärft: Er sah den
arbeitslosen Mann mit der gelähmten Hand, er sah die gekrümmte
Frau, er hörte die Schreie des blinden Bartimäus, er spürte, als
die Frau, die seit zwölf Jahren an Blutungen litt, den Saum seines
Kleides berührte...
In
seiner Sendung zu den Armen sah sich Jesus getragen vom Gott Israels,
der sich durch die Gesetze und die Propheten immer wieder zu Wort
meldet als Gott der Witwen und Waisen, als Gott der Verschuldeten und
Verfolgten. Nicht weil diese moralisch besser wären, sondern weil
sein Herz an erster Stelle für sie schlägt.
Ich
weiss nicht, wo Lukas den Wehe-Ruf gegen die Reichen gefunden hat. In
den anderen Evangelien steht er so nicht. Wehe den Reichen! –
nicht weil sie moralisch schlechter wären als die Armen, sondern
weil sie Gefahr laufen, ausser ihrem Reichtum nichts mehr zu sehen,
weder das Elend der Hungernden noch die Ausweglosigkeit der
Arbeitslosen, weder das Joch der Asylanten noch die Leere derer, die
nicht dabei sein können noch die verfehlten Wirtschaftsstrukturen.
Wenn
wir bei all unseren Entscheidungen – auch und gerade bei unseren
politischen Entscheidungen – zuallererst die Armen aufsuchen und
uns ihre Augen und ihre Ohren leihen würden, ich bin überzeugt,
viele Gesetze fielen ganz anders aus…
…und
der Gott Jesu – und mit ihm die Armen – könnten auch hierzulande
zum Zuge kommen.
Hermann-Josef
Venetz
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