In
der Nähe von Fribourg befindet sich Corminboeuf, ein langgezogenes
schmuckes Dorf. Auf einer kleinen Anhöhe steht ein schönes altes
Kirchlein. Der wichtigste Blickfang im Innern ist neben dem grossen
Kruzifix eine Muttergottesstatue. Kunstgeschichtlich ist sie nicht
leicht einzuordnen, aber das tut jetzt nichts zur Sache. Auf dem Knie
der sitzenden Madonna steht aufrecht das Jesuskind. In seiner Hand
hält es die Weltkugel. Solche Darstellungen gibt es zuhauf. Die
Botschaft ist klar: In dem kleinen Kind ist Gott selbst Mensch
geworden; in dem kleinen Kind begegnet uns der Schöpfer und Erhalter
des Himmels und der Erde.
Die
Statue im Kirchlein von Corminboeuf weist noch in eine andere
Richtung: Die Welt mit all ihren Kriegen, mit all dem Hunger, mit all
den Bedrohungen liegt in der Hand eines hilflosen Kindes. Wenn es die
Weltkugel dem Betrachter, der Betrachterin entgegenstreckt, ist es,
wie wenn es in seiner Schwachheit um Verständnis, wie wenn es in
seiner Ohnmacht um Hilfe bitten würde.
Der
Schriftsteller Heinrich Böll soll zu Karfreitag einmal gesagt haben:
»Jetzt ist es an der Zeit, Gott zu trösten.«
Wir
rufen Gott um Hilfe an, wir erwarten, dass er eingreift, wenn etwas
nicht so geht, wie wir es möchten, dass er uns vor dem Bösen
bewahrt, dass er uns Kraft gibt, unseren Alltag zu bewältigen, dass
er uns im Leid tröstet. Wir wenden uns Hilfe suchend an Gott eben
so, wie Kinder ihren Vater und ihre Mutter um Hilfe angehen.
In
Corminboeuf sind die Rollen wie vertauscht. Gott braucht nicht
Kinder, die Hilfe schreiend, oft sogar nörgelnd und zwängelnd an
seiner Schürze hängen und ihm dauernd im Wege stehen und dreinreden
– euer Vater im Himmel weiss doch, was ihr nötig habt, bevor
ihr ihn darum bittet (Matthäus 6,8). Was Gott in seiner Ohnmacht
braucht, sind viel eher Freundinnen und Freunde, die zu ihm stehen,
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die ihm zu Hilfe kommen, erwachsene
Söhne und Töchter, auf die er sich verlassen kann – und die
ihn auch trösten.
Zu
oft vergessen wir, dass Gott die Welt mit ihren Kriegen, mit ihrem
Hunger, mit ihren Bedrohungen nicht einfach »herrlich regieret«,
wenn wir ihn nur darum bitten; er hat die Welt uns und unserer
Verantwortung anvertraut.
Hermann-Josef
Venetz
Zarathustra stieg allein das Gebirge abwärts und niemand begegnete ihm. Als er aber in die Wälder kam, stand auf einmal ein Greis vor ihm, der seine heilige Hütte verlassen hatte, um Wurzeln im Walde zu suchen. Und also sprach der Greis zu Zarathustra:
RépondreSupprimer»Nicht fremd ist mir dieser Wanderer: vor manchem Jahre ging er hier vorbei. Zarathustra hieß er; aber er hat sich verwandelt.
Damals trugst du deine Asche zu Berge: willst du heute dein Feuer in die Täler tragen? Fürchtest du nicht des Brandstifters Strafen?
Ja, ich erkenne Zarathustra. Rein ist sein Auge, und an seinem Munde birgt sich kein Ekel. Geht er nicht daher wie ein Tänzer?
Verwandelt ist Zarathustra, zum Kind ward Zarathustra, ein Erwachter ist Zarathustra: was willst du nun bei den Schlafenden?
Wie im Meere lebtest du in der Einsamkeit, und das Meer trug dich. Wehe, du willst ans Land steigen? Wehe, du willst deinen Leib wieder selber schleppen?«
Zarathustra antwortete: »Ich liebe die Menschen.«
»Warum«, sagte der Heilige, »ging ich doch in den Wald und in die Einöde? War es nicht, weil ich die Menschen allzusehr liebte?
Jetzt liebe ich Gott: die Menschen liebe ich nicht. Der Mensch ist mir eine zu unvollkommene Sache. Liebe zum Menschen würde mich umbringen.«
….
Als Zarathustra aber allein war, sprach er also zu seinem Herzen: »Sollte es denn möglich sein! Dieser alte Heilige hat in seinem Walde noch nichts davon gehört, daß Gott tot ist!« –
Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra.
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