Mit
den Augen Gottes
Papst
Franziskus soll einmal gesagt haben: »Sag mir: Wenn Gott eine
homosexuelle Person sieht, schaut er diese Existenz mit Liebe an oder
verurteilt er sie und weist sie zurück? Man muss immer die Person
anschauen. Wir treten hier in das Geheimnis der Person ein.«
Sehen
mit den Augen Gottes – eine sehr
hilfreiche Idee. Gott sieht bei einem Menschen nicht zuerst dessen
sexuelle Identität, und er sieht bei einem lesbischen Paar auch
nicht an erster Stelle dessen sexuelle Ausdrucksweisen. Das ist
vielleicht unsere menschlich-allzu menschliche Art zu ‚sehen’.
Auch kann ich mir nicht vorstellen, dass Gott, wenn er einen
Homosexuellen sieht, sagen würde: »Oh, pardon, da ist bei der
Schöpfung etwas schief gelaufen; das muss irgendwie in Ordnung
gebracht werden.«
Ich
möchte Gottes Sichtweise nicht festlegen, aber von meinem Glauben
her kann ich mir gut vorstellen, dass Gott, wenn er einem
homosexuellen Paar begegnet, sagen könnte: »Wie gut, dass es euch
gibt! Schade nur, dass das viele sogenannt normale Menschen nicht
verstehen können.«
Nicht
das Bild, das wir uns von Schwulen und Lesben, Bisexuellen und
Transsexuellen machen,
ist entscheidend, sondern die Menschen selbst. Mit welchem Recht
reduzieren wir sie auf ihre sexuelle Ausrichtung und
Fortpflanzungsfunktion? Auch die homosexuelle Person lebt in einem
ganz bestimmten Umfeld, hat ihre Sorgen und Vorlieben, ihr
Lebensschicksal und ihre Ängste, ihre Freuden und Leiden – nicht
zuletzt die Leiden, die ihr die so genannt ‚Normalen’ dadurch
zufügen, dass sie sie ausgrenzen. Es gilt immer, auf die Person als
ganze zu schauen und sie als ganze anzunehmen.
Du
sollst dir kein Bild machen – so
heisst die grundlegende Weisung im Dekalog. Das gilt nicht nur für
Gott, von dem wir uns kein Bild machen sollen, das gilt auch für die
Menschen. Für alle Menschen.
Hermann-Josef
Venetz
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