Eine
Gewissenserforschung
Rein
zufällig geriet ich über Internet in die Unterrichtsstunde des
berühmten Pianisten Menahem Pressler. Er wird heuer 92 und ist immer
noch voller Begeisterung und Leidenschaft. Um ihn herum waren einige
junge Leute, die ihr Können und ihre Ausdruckskraft beim Meister
vertiefen und vervollkommnen wollten. »Ich liebe die Musik«, sagte
er den Anwesenden, »ich liebe den Komponisten, ich liebe die
Zuhörerinnen und Zuhörer, ich liebe, was ich tue.«
Am
Klavier sass eine junge Pianistin, die mich mit ihrem Spiel berührte.
Aus der Mimik des Meisters schloss ich, dass auch er mit dem
Dargebotenen zufrieden war, bis sich mehr und mehr seine Gesichtszüge
verfinsterten. Plötzlich rief er laut: »Nein, nein, nein! So geht
das nicht!«
Ich
fand diese Intervention sehr streng, ja ungerecht.
Aber
er fuhr fort: »Bis jetzt hast du geliebt, und ich hörte dir gerne
zu. Jetzt willst du aber imponieren. Wenn du liebst, willst du was
geben, gibst du was von dir, ja gibst du dich selbst. Jetzt willst du
nur noch bekommen: Applaus, Erfolg, Bewunderung. Das ist nichts.«
Die
Unterrichtsstunde des grossen Musikers ist Anstoss zur
Gewissenserforschung – für mich und für alle, die so oder so in
der Öffentlichkeit stehen, sei es als Musiker oder Lehrer oder
Pfarrer oder Politiker oder was auch immer: Was ist die Triebfeder
meines Redens und Tuns? Ist es die Liebe? Die Liebe zu den Menschen?
Die Liebe zur Sache? Oder habe ich es auf den Applaus abgesehen? Auf
den Erfolg? Auf die Komplimente, die man mir machen wird?
Und
wie von selbst kommt mir der Passus im 1. Korintherbrief des Paulus
Kapitel 13 in den Sinn:
Wenn
ich in den Sprachen der Menschen und Engel redete,
hätte
aber die Liebe nicht,
wäre
ich dröhnendes Erz oder eine lärmende Pauke.
Und
wenn ich prophetisch reden könnte und alle Geheimnisse wüsste und
alle Erkenntnis hätte…,
hätte
aber die Liebe nicht,
wäre
ich nichts.
Hermann-Josef
Venetz
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