Galiläa
Für
die Hohenpriester, Ratsherren und Pharisäer war es klar: aus Galiläa
kommt kein Prophet; aus Galiläa ist überhaupt nichts Vernünftiges
zu erwarten.
Dabei
war Galiläa ein reich gesegnetes Land. Fruchtbarer Boden, gesunde
Landwirtschaft, reiche Fischerei, gefragte Handwerker…
Aber
was nützen diese Güter und die gut ausgebaute Infrastruktur, wenn
die Güter schlecht verteilt sind? Nur wenige Familien konnten
sorglos leben: Grossgrundbesitzer, finanzkräftige Steuer- und
Zollpächter, Grosshändler. Die Mittelschicht bestand aus
Handwerkern, Kleinpächtern, Fischern, Kleinbauern, soweit sie nicht
enteignet waren. Zahlenmässig am stärksten ins Gewicht fiel die
verarmte Unterschicht. In den Evangelien liest man oft von Bettlern,
Sklaven, Verschuldeten, Tagelöhnern, Arbeitslosen, Blinden,
Gelähmten, Aussätzigen, psychisch Kranken…
Wo
der Unterschied zwischen reich und arm gross ist, ist auch die
Resignation gross. Viele Leute verliessen das Land oder gingen in den
Untergrund. Galiläa war auch das Land der Widerstandskämpfer…
Aber
ausgerechnet in Galiläa ist Jesus aufgetreten: Jetzt ist die Zeit
da; jetzt nimmt Gott selbst das Ruder in die Hand; wir können neu
anfangen und Vertrauen fassen. Und ausgerechnet in Galiläa wurde
dieser Ruf auch konkret: die gekrümmte Frau konnte wieder aufrecht
gehen, der Gelähmte sprang herum, Sünder und Prostituierte fanden
wieder Gemeinschaft… Auch das ist Galiläa.
Aber
bald schon hörten sie Jesus nicht mehr zu; sie beobachteten ihn nur
noch, ob sie etwas finden können, um ihn den Römern auszuliefern.
Die Verwandten hielten ihn für verrückt. Die eigenen Jünger
verstanden ihn nicht. Sein engster Mitarbeiter, Petrus,
verleugnete ihn… Auch das ist Galiläa.
Hingerichtet
wurde Jesus in Jerusalem, der ‚Heiligen Stadt’, weil man
ihn dort nicht mehr ertragen konnte, weil er dort den Interessen der
Mächtigen, der Priester und Römer, querstand.
Am
Schluss des Markusevangeliums steht am leeren Grab der Bote Gottes.
Zur Auferstehungsbotschaft, die er den Frauen ausrichtet, gehört
auch dies: Geht hin und sagt seinen Jüngern und dem Petrus: Er
geht euch voraus nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen. Nicht
in alle Welt sollen sie gehen und auch nicht zum Tempel. In Galiläa
werden sie ihn sehen, dort, wo alles angefangen hat, da sollen sie
den Weg mit ihm noch einmal aufnehmen.
Galiläa.
Könnte mit Galiläa auch unsere Zeit und unsere Welt gemeint sein?
unser Alltag mit all dem Widersprüchlichen und Widerwärtigen?
Könnte die Oster-Verheissung auch uns gelten: Hier in unserem
Galiläa werden wir ihn sehen – in all den Leuten, mit denen er
sich auch heute solidarisiert: mit den Kranken, Arbeitslosen,
Fremden, Gefangenen. Sehen – wenn wir ihm auch nachfolgen, das
heisst angstlos auf die Armen zugehen, mit ihnen das Brot brechen,
sie in die Arme nehmen, bei ihnen ausharren, mit ihnen ans Kreuz
gehen...
Galiläa
– hier
und jetzt und bei uns?
Hermann-Josef
Venetz
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