Im
Bus beobachtete ich ein junges Paar, das eine Bankreihe schräg vor
mir einander gegenübersass. Von meinem Platz aus konnte ich nur das
Gesicht der Frau sehen, den ihr gegenüber sitzenden Mann sah ich nur
seitlich von hinten.
Ich
hörte nicht, was sie miteinander sprachen. Ich hatte den Eindruck,
sie wolle ihm etwas erklären oder ihn etwas fragen, vielleicht ihn
zur Rede stellen. Er war sehr wortkarg und blickte sie kaum an, weder
während er, noch während sie sprach. Sie hingegen suchte immer
wieder seine Augen. Sie war daran interessiert, dass er sie verstand.
Seine Augen waren gesenkt oder suchten das Weite. Etwas bedrückte
ihn. Vielleicht hatte er schlechtes Gewissen und er konnte oder
wollte sich nicht erklären. Vielleicht wollte er, dass sie ihn in
Ruhe lässt. Schliesslich liess sie ihn in Ruhe. Aber sie hörte
nicht auf, nach ihm zu sehen. Ihre suchenden Augen verrieten mir,
dass sie ihn verstehen möchte, ja dass sie ihm verzeihen würde,
wenn es etwas zu verzeihen gäbe. Aber um ihm das zu verstehen zu
geben, hätte er ihren Blick erwidern müssen. Hilflos blickte er
umher, aber nie in ihre Augen.
Gerne
hätte ich die Szene weiter verfolgt, aber für mich war es Zeit, den
Bus zu verlassen. Das Bild von den suchenden traurigen Augen hat sich
tief in mir eingeprägt.
Es
war mir, als ob mir dieses Bild etwas über Gott sagen möchte. ER
hält Ausschau nach den Menschen, nach mir. Ich weiche dem Blick aus,
weil er mich beunruhigt, weil ich schlechtes Gewissen habe; ich will
und kann mich nicht zu verstehen geben. Es wäre mir lieber, er würde
mich in Ruhe lassen, er wäre gar nicht da.
Aber
er sucht nur traurig meine Augen, weil er mich verstehen möchte,
weil er mir verzeihen möchte. Auch wenn er aufgegeben hat, mit mir
zu sprechen – weil ich ihn mit meinem umherschweifenden Blick
abweise und mich nicht finden lasse – lässt er keinen Augenblick
davon ab, mich zu suchen, sich mir zu verstehen zu geben, mir zu
zeigen, dass er mir verzeiht, was immer auch geschehen ist.
Hermann-Josef
Venetz
Aucun commentaire:
Enregistrer un commentaire