mercredi 18 novembre 2015


Amnestie
(nach Matthäus 18,23-35)


Ein Knecht stand bei seinem Herrn in der unvorstellbar riesigen Schuld von 10 000 Talenten. 1 Talent war zur Zeit Jesu die grösste Geldeinheit, und 10 000 war die grösste Zahl, mit der man noch rechnete – eine grössere Schuld kann es also gar nicht geben.

Auf inständiges Bitten des Knechtes erlässt ihm der Herr die ganze Schuld! Aber dieser eben amnestierte Knecht bringt es nicht fertig, seinem Mitknecht die lächerliche Schuld von 100 Denaren zu erlassen – das sind ziemlich genau der millionste Teil der 10 000 Talente – und das obwohl ihn dieser nicht weniger inständig um Stundung bittet. Das ist ein Skandal!


Christinnen und Christen – ja eigentlich alle Menschen – stehen als Amnestierte in der Welt. Sie sind frei. Sie brauchen sich nicht mehr zu ängstigen. Sie brauchen sich von der Last ihrer Schuld nicht aufreiben, von Schuldkomplexen nicht versklaven zu lassen. Die Frage ist nur, was sie mit ihrer Freiheit tun. Ob andere etwas von dieser Amnestie zu spüren bekommen: die Asylanten, die verschuldeten Länder, die Verleumder? Oder ob der befreiende Zug der Amnestie bei ihnen selbst ans Ende gelangt?

Wo die Amnestie, das bedingungslose Verzeihen, nicht weitergeht, wird es für die Menschen und die Welt keine Zukunft geben.

Hermann-Josef Venetz

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