Ehe
als Vision
Marc Chaggal
Die
biblischen Darstellungen von den Anfängen der Welt und der Menschen,
wollen uns nicht sagen, was vor vielen tausend Jahren passiert ist.
Das ist Sache der Naturwissenschaftler, der Historiker und
Ethnologen. Die Bibel hat uns viel Wichtigeres zu sagen. Auf
unterhaltsame Art erzählt sie, wie es um uns Menschen steht, um das
Verhältnis zwischen Frau und Mann, um das Verhältnis auch zwischen
Gott und uns Menschen. Die biblischen Schriftsteller wussten: Von
Gott kann man nur in Bildern und Gleichnissen reden. Und diese sind
wahrer und fantasievoller als Fakten und Zahlen.
Nach
dem Schöpfungsbericht in Genesis 2,4ff tritt Gott bei der
Erschaffung des Menschen zuerst als Töpfer auf. Er
verarbeitet Erde und Wasser zu einem menschenähnlichen Gebilde. Aber
das ist noch nicht alles. Damit dieses Gebilde ein Mensch wird, bläst
ihm Gott seinen eigenen Lebensatem in die Nase. Das sagt sehr viel
über den Menschen: Er ist aus der Erde genommen, also mit der Erde
verwandt, aber er lebt aus der Mund-zu-Mund-Beatmung durch Gott.
Aber
es geht noch weiter. Gott selbst muss feststellen: Es ist nicht
gut, dass der Mensch allein ist; er muss ein Wesen neben sich haben,
das zu ihm passt und ihn gewissermassen ergänzt. Und jetzt tritt
der Ewige als plastischer Chirurg auf. Er lässt einen
Tiefschlaf d.h. eine Art Narkose über den Menschen kommen, entnimmt
ihm eine Rippe, füllt die Stelle mit Fleisch, damit das Wesen, das
da wird, ja nicht zu kurz kommt, und formt die Rippe zu einer Frau.
Dann führt er diese wie ein Brautführer dem Menschen zu. Und jetzt
geht ein Freudenschrei des Menschen durch die Welt: Endlich! Das
ist sie! Eine wie ich! Eine, mit der ich eins werden kann; sie ist ja
von mir genommen!
In diesem Monat versammeln sich Bischöfe der römisch-katholischen Kirche mit dem Papst zur sogenannten Familiensynode. Schade, dass da nur unverheiratete Männer zusammenkommen. Aber lassen wir das. Meine Hoffnung ist die, dass sich diese Männer von den wunderbaren Bildern der Bibel faszinieren lassen und nicht gleich wieder Regeln und Gesetze daraus machen. Die Bibel zeichnet uns einen Gott, der grösser und liebevoller ist als unser Herz, grösser und fantasievoller auch als all unser Denken. Die Vision des Reiches Gottes – dazu gehört eben auch die Ehe – lässt sich nicht in Gesetze einfangen. Für die Vision des Reiches Gottes können wir uns immer nur öffnen, damit wir und unsere Welt jeden Tag friedlicher, gerechter und glücklicher werde. So beten wir auch täglich: Dein Reich komme!
Hermann-Josef
Venetz
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