Wenn ein Mensch, um ein Ziel zu erreichen, eine längere Zeit durch ein Gebiet gehen muss, das kein Wasser führt, nennt man das eine Durststrecke. Im übertragenen Sinn ist damit eine Zeitspanne voller Entbehrungen und Einschränkungen gemeint, eine zeitweilige Bedrängnis, die es zu überstehen gilt, eine Zeit, in der man wenig verdient, ja kaum sein Auskommen hat, eine Zeit, deren Ende man dringend erwartet.
Durststrecken gibt es auch in Beziehungen zwischen
Menschen, so wenn zwei Liebende – wie und aus was für Gründen
auch immer – voneinander getrennt sind und nichts sehnlicher
erwarten als einander wiederzufinden.
Von Durststrecken sprechen auch Mystiker. Das sind
Menschen, die unbeschreiblich tiefe Erfahrungen mit Gott machen und
immer wieder Momente des Einsseins mit Gott erfahren dürfen, Momente
innigster Zweisamkeit. Die Zeiten zwischen diesen Momenten des
Tanzes, in dem das fliessende Licht der Gottheit sie
durchdringt, empfindet z.B. die Mystikerin Mechthild von Magdeburg
(13. Jahrhundert) als Wüste der Gottabwesenheit, als dunkle
Nacht‚ ja als Todesschattenschlucht. Diese Finsternis
erleiden und die Gottesferne aushalten, das sind die langen
Durststrecken der Mystiker.
Nun, wir brauchen von Mystik nichts zu verstehen. Vielleicht haben wir eine leise Ahnung von Momenten inniger Zweisamkeit mit Gott, vielleicht auch eine leise Ahnung von Durststrecken, wenn wir von der Nähe Gottes höchst selten oder kaum je etwas spüren sondern nur ersehnen. Nur: Warum spricht man in unserer Beziehung zu Gott nur von den Durststrecken der Menschen und nicht auch von den Durststrecken Gottes?
Hermann-Josef Venetz
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