An
der Krippe
In
Familien – so sagt man – wird das ganze Jahr hindurch nie so laut
und so heftig gestritten wie am Heiligen Abend. Zum Teil glaube ich
das. Gerade wenn wir es ganz besonders gut machen und ganz besonders
nett sein wollen, gelingt es uns am wenigsten.
Die
Gestalten an der Krippe – so meinen wir wenigstens – helfen uns
kaum über unser Malaise hinweg. Das Christkind, Maria und Josef: sie
sind einfach eine Schuhnummer zu gross für uns; und mit so grossen
Gestalten messen wollen wir uns lieber nicht. Auch diejenigen, die
von aussen hinzukommen, taugen kaum als Vorbilder: die Engel, die
Hirten, später dann die heiligen drei Könige in ihrer
Feierlichkeit. In unserer Hilflosigkeit fragen wir uns: Gibt es denn
niemand, der uns an der Krippe vertritt? niemand, mit dem wir uns
identifizieren können? niemand, der in einer ähnlich störrischen
Haltung ist wie wir?
Doch,
es gibt sie, unsere Vertreter an der Krippe. In der biblischen
Weihnachtsgeschichte werden sie war nicht erwähnt, aber sie fehlen
bei keiner Krippe und bei keinem Krippenspiel: der Ochs und der
Esel. Ich denke mir: Wenn die beiden da sind, hab auch ich noch
Platz. Neben ihnen komme ich mir weniger verloren vor als neben den
Engeln und neben Josef und Maria. Beim Ochsen und beim Esel falle ich
auch nicht so auf. Da kann ich wie sie schweigen und glotzen, und
niemand erwartet von mir, dass ich gescheite und fromme Dinge daher
sage. Ich brauche nur da zu sein; mehr braucht es nicht.
Wie
Ochs und Esel zur Krippe gefunden haben? Als vor vielen hundert
Jahren eifrige Christinnen und Christen die Weihnachtsbotschaft
hörten, erinnerten sie sich bei der Erwähnung der Krippe an den
Propheten Jesaja. Er eröffnet seine prophetische Botschaft mit dem
Bild der Krippe.
Himmel
und Erde sollen hören, was Gott sagt:
»Ich
habe Kinder aufgezogen; und jetzt, wo sie erwachsen sind, wollen sie
nichts mehr von mir wissen.
Jeder
Ochs kennt seinen Besitzer und jeder Esel die Futterkrippe seines
Herrn;
mein
Volk aber nimmt keine Vernunft an.« (Jesaja
1,2-3)
So
deutlich und natürlich kann nur ein Prophet sprechen – oder der
liebe Gott. Und ich nehme mir das so zu Herzen: Ich bin es,
der noch dümmer ist als der Ochs und der Esel, noch störrischer,
noch glotzender, noch blöder. Ich bin es, der trotz meines
Erwachsenseins keine Vernunft annehmen will. Ich bin es, der nicht
begreifen will, zu wem ich eigentlich gehöre.
Wenn
ich bei einer Krippe den Ochs und den Esel stehen sehe, ist das für
mich eine Gute Nachricht: wenn der Ochs und der Esel zur Krippe
zurück finden, dann sollte das doch auch mir möglich sein. Ich
brauche kein Engel zu sein, kein Hirte, kein heiliger Joseph und auch
kein Weiser. Ich bin zwar immer noch glotzend und blöd und
angeschlagen, aber ich bin da; und ich kann es mir wieder mal sagen
lassen, zu wem ich gehöre. Und als Weihnachtsbotschaft höre ich das
Kind ungefähr dieses sagen:
Du
bist zwar ein störrischer Esel und ein dummer Ochse. Aber im Grunde
genommen gehörst du eben doch zu mir. Und ich, ich will trotz allem
dein, ja euer aller Gott sein und euch dazu bestimmen, Frieden und
Gerechtigkeit und Freude der ganzen Welt sichtbar zu machen.
Hermann-Josef
Venetz
Aucun commentaire:
Enregistrer un commentaire