Ein Zürcher
Politiker – er sagt von sich selbst in einem Interview, er sei »eigentlich ein
sehr christlicher Mensch« – ist aus der Kirche ausgetreten. Grund dafür ist
unter anderem die Tatsache, dass sich die Kirche »für Menschen einsetze, die
der Gesellschaft nichts Produktives zurückgäben«. Dadurch, dass die Kirche sich
beispielsweise gegen die
Ausschaffungsinitiative oder für
die Sans-Papier einsetze, habe sie sich »politisch positioniert«. Sie habe zu
predigen und nicht zu politisieren.
Diese
Auffassung, die man nicht selten gerade bei »eigentlich sehr christlichen
Menschen« findet, veranlasst mich zu einer Feststellung und zu einer Frage.
Die Feststellung ist diese: Jesus stand den
damaligen sozialen und politischen Verhältnissen keineswegs neutral oder
blauäugig gegenüber. Bereits zu Beginn seiner ersten grossen Predigt betonte
er, dass Gott ihn gesandt habe, den Armen gute Nachricht zu bringen, den
Gefangenen Freiheit anzusagen, den Misshandelten aufzuhelfen und das Jahr
auszurufen, in dem alle von ihren Schulden befreit werden sollen (Lk 4). Die Armen und die Leidenden hatten für Jesus absolute Priorität.
Und
gerade dadurch erweist er sich als der Sachwalter Gottes. Gott stellte sich dem
Mose am brennenden Dornbusch nicht als »höchstes Wesen« vor, sondern als jener
Gott, der das Elend seines Volkes in
Ägypten gesehen und ihre Klagen über die Unterdrücker gehört hat und nicht mehr an sich halten konnte. Und er
schickte Mose, dieses Befreiungswerk durchzuführen (Ex 3). Für Gott selbst
haben die Armen und Unterdrückten seit jeher absoluten Vorrang. Ja, er ist
wesentlich der Gott der Armen.
Die
Frage, die ich mir stelle ist die: Worüber hätte denn Jesus »predigen« sollen,
worüber sollten denn heute die Kirchen »predigen«, wenn nicht über dieses
uralte Anliegen Gottes: dass die Menschen von ihrer Armut und Unterdrückung
befreit werden?
Wer
die Politik aus der christlichen Verkündigung herausnehmen will, übt Verrat an
den Armen – und damit auch Verrat am Anliegen Gottes.
Hermann-Josef Venetz
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