samedi 12 décembre 2015

Hoffen ist anders



Der Pessimist sagt: »Ich bin kein Pessimist, ich bin Realist; ich betrachte die Dinge so, wie sie sind.« Der Optimist sagt: »Ich bin kein Optimist, ich bin Realist; ich betrachte die Dinge so, wie sie sind.«
Solche Aussagen sind verständlich. Der Pessimist steht im Verdacht, ein Schwarzseher zu sein und die Dinge schwärzer zu sehen, als sie sind. Der Optimist steht im Verdacht, blauäugig zu sein und die Dinge in helleren Farben zu sehen, als sie sind.
Sowohl Optimisten als auch Pessimisten möchten Realisten sein. Sie haben auch gute Gründe für ihre jeweilige Weltsicht, ohne dass ihnen Weltfremdheit vorgeworfen werden muss. Ihre Gründe sind ernst zu nehmen, sind überprüfbar und oft auch nachvollziehbar. Es gibt gute Gründe, die wirtschaftliche Entwicklung der Schweiz optimistisch einzuschätzen. Es gibt aber auch gute Gründe, die wirtschaftliche Entwicklung der Schweiz pessimistisch zu sehen. Kann sein, dass morgen die Einschätzung wieder eine ganz andere sein wird.
Hier ein anderes Beispiel. Es gibt Tage, an denen ich die Entwicklungen in der Kirche eher pessimistisch einschätze. Dann gibt es aber auch Tage, an denen ich die selben Entwicklungen eher optimistisch betrachte. Sowohl meinen Optimismus wie auch meinen Pessimismus kann ich durch meine so genannte realistische Einschätzung gut begründen: Es gibt konkrete Beobachtungen und Erfahrungen; es gibt Belege aus der Geschichte; es gibt Berechnungen und Prognosen von Leuten, die es doch wissen müssen. Freilich können diese Berechnungen und Prognosen morgen wieder andere sein.
Hoffnung ist etwas anderes. Sie ist ‚jenseits’ von Optimismus und Pessimismus. Sie gründet nicht auf Einschätzungen und Berechnungen und Prognosen, so realistisch diese auch sein mögen. Hoffnung hat etwas mit Glauben zu tun. Darunter verstehe ich nicht Theologie oder ein besonderes Wissen. Unter Glauben verstehe ich eine Beziehung. Eine Beziehung zu einem Du.
Um es mit anderen Worten zu sagen: Mich trägt nicht der Optimismus, auch nicht mit allen seinen guten und realistischen Gründen – es wäre das für mich eine zu schmale Basis. Mich trägt die Beziehung zu einem Du, das ich Gott nenne. Und dieses Du wechselt nicht alle paar Tage. Es ist das Du, das mich ins Leben ruft und beim Namen nennt, das mit mir etwas vorhat und mir etwas zumutet und mich auch dann noch trägt, wenn alle Berechnungen und Prognosen nach unten zeigen.
Hermann-Josef Venetz

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