Papst
Franziskus hat es uns auf eindrückliche Weise in Erinnerung gerufen,
was wir aus der Bibel schon lange wissen: Jesus stand auf der Seite
der Armen. Die Evangelien erzählen uns auf Schritt und Tritt: von
Arbeitslosen, Blinden, Aussätzigen, von Prostituierten, die oft der
blanke Hunger auf die Strasse trieb, von Kleinbauern, für die die
Steuerlast zu gross war...
Ausgerechnet
für diese Leute schlug das Herz des Nazareners. Und das war nicht
eine Marotte von ihm. Er konnte doch immer wieder in der Bibel lesen,
wie sich der Ewige als Gott der Armen und Hungernden und Leidenden
und Unterdrückten vorstellte, so zum Beispiel als er Mose schickte,
sein Volk zu befreien:
Ich
bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs…
Ich habe das Elend meines Volkes, das in Ägypten ist, gesehen, und
ihr Schreien über ihre Treiber habe ich gehört; ja, ich kenne seine
Leiden. Darum bin ich herabgestiegen…(Ex 3)
Der
Gott Jesu ist ein Gott, der das Elend sieht und das Klagegeschrei
hört, ein Gott, der nicht mehr an sich halten kann, wenn er Menschen
in Not sieht.
Aber
ausgerechnet mit dieser Feststellung tun wir uns schwer. Und unser
Einwand – um nicht zu sagen Protest – ist seit jeher der gleiche:
Die Armen sind doch um keinen Deut besser als die Reichen. Man frage
nur jene, die es berufswegen täglich mit Armen zu tun bekommen.
Unter den Armen gibt es nicht weniger Betrüger und Diebe, nicht
weniger Neider und Lügner, nicht weniger Intriganten und
Gewalttätige als anderswo auch.
Aber
gerade das ist die Schwierigkeit, um die es geht: Wir meinen immer
noch, Gott müsse so lieben wie wir; und wir lieben, weil die andern
nett sind zu uns, weil die andern uns keine Schwierigkeiten machen,
weil sie uns achten, weil sie gleicher Meinung sind wie wir, weil sie
das Treppenhaus – wie es sich gehört – in Ordnung halten... Und
so meinen oder erwarten wir auch von Gott, dass er nur die
Ordentlichen liebt, Leute, die keine Schwierigkeiten machen, die am
Sonntag zur Kirche gehen, die ihre Steuern bezahlen und weisse Westen
tragen...
Wie
von selbst kommt mir das Wort Jesu in den Sinn: Wenn ihr nur die
liebt, die euch lieben... Das tun doch auch die Sünder! Und wenn ihr
nur denen Gutes tut, die euch Gutes tun... Tun das nicht auch die
Heiden? Und wenn ihr nur die grüsst, die euch grüssen… Was tut
ihr da Besonderes? (Mt 5,46-47)
Die
Liebe Gottes ‚funktioniert’ eben nicht so wie die unsere, ja sie
lässt sich mit der unseren gar nicht vergleichen, sie hat eine
völlig andere ‚Logik’. Gott liebt und achtet die Armen nicht,
weil sie gut oder gar besser sind als die Reichen. Gott liebt die
Armen, weil sie arm sind.
Um
diese Liebe geht es.
Hermann-Josef
Venetz
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