Nur
eine Revolution der Herzen?
Das
Besondere der christlichen Ethik sei die ‚Revolution der Herzen’,
so las ich neulich in einem Artikel.
Gewiss
hatte und hat das Christentum einen bedeutenden ethischen Anspruch
sowohl für die damalige wie auch für die heutige Zeit. Nicht
vergessen sollten wir, dass die christliche Ethik ohne das Alte
Testament und das Judentum nicht denkbar ist. Man kann sogar sagen:
viel ‚Neues’ hat die christliche Ethik im Vergleich zum Judentum
nicht gebracht. Liebeskommunismus, Sorge für Witwen und
Waisen, Armenfürsorge, Schuldenerlass, Feindesliebe usw.
sind Visionen, die das Christentum im Wesentlichen dem Judentum
verdankt. Und weder im Judentum noch im Christentum hatten diese
Visionen eine ‚Revolution der Herzen’ im Sinn. Das Judentum schon
gar nicht; da machte man Nägel mit Köpfen: Gesetze zur Tierhaltung,
zur Ent-Schuldung, zum Asylwesen, zur Armenfürsorge und vieles mehr
sollten nicht nur die Herzen, sondern die Gesellschaft als solche
verändern.
Christen
und Christinnen sind in der damaligen (und heutigen) Welt nicht
dadurch aufgefallen oder angeeckt, dass sie im Unterschied zur
Umwelt eine ‚höhere Ethik’ verkündet haben. Anstossend war (und
ist) das Bekenntnis zum gekreuzigten Jesus als dem Messias und
Gottessohn. Das viel zitierte Wort Was ihr dem geringsten meiner
Brüder und Schwestern getan habt, das habt ihr mir getan
(Matthäus 25,40) provoziert nicht als ethische Forderung. Skandalös
ist bei diesem Wort die Tatsache, dass sich der Menschensohn und
König und Richter mit den Geringsten identifiziert, d.h. mit den
Hungernden und Gefangenen, mit den Kranken und Fremden – und wir
könnten weiterfahren: mit den Asylanten und Flüchtlingen, mit den
Arbeitslosen und Ausgegrenzten. Das Bekenntnis zu Jesus als dem
Messias und Gottessohn ereignet sich nicht ‚im stillen Kämmerlein’,
sondern ist ein eminent politisches Geschehen. Darum waren und sind
es auch hauptsächlich die politischen und religiösen Machthaber,
die diesen Jesus und seine Gefolgsleute weghaben wollten. Das
Bekenntnis zu Jesus und seiner Praxis passt in keines der bestehenden
politischen Systeme und auch in keines der politischen
Parteiprogramme.
Hermann-Josef
Venetz
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