Warum?
Lanzo Del Vasto
An
die 20 mal steht im alttestamentlichen Psalterium, dem Gebetsbuch der
Kirche, der fragende Ruf oder Aufschrei zu Gott: Warum..? Hier
einige Beispiele:
Warum
bleibst du so fern, verbirgst dich in Zeiten der Not? (Ps
10,1)
Warum
hast du mich vergessen? (42,10)
Warum
hast du mich verstossen? (43,2)
Warum
verbirgst du dein Gesicht, vergisst unsere Not und Bedrängnis?
(44,25)
Warum
fragen wir, wenn etwas geschieht oder
jemand etwas tut, das wir nicht erwarten, das wir nicht verstehen und
uns ratlos und enttäuscht zurücklässt.
So
ist es auch, wenn wir diese Frage betend oder klagend oder schreiend
an Gott richten. Dieses Warum macht auch deutlich, dass Gott
der ganz Andere ist, der Unfassbare.
Das
Psalterium war auch das Gebetbuch Jesu. Ich bin überzeugt: Er hat
dieses quälende Warum nicht einfach zur Seite geschoben oder
beim Beten übersprungen; er hat sich in dieses Warum selbst
hineingegeben. Die Evangelisten Markus und Matthäus scheuten sich
nicht, Jesus am Kreuz den Anfang des 22. Psalm rufen zu lassen:
Mein
Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? (Markus
15,34; Matthäus 27,46)
Gehört
dieses Warum nicht zu unserem Menschsein? Zu unserer Beziehung
zu Gott? Und gehört dieses Warum nicht auch zu den
Beziehungen der Menschen untereinander?
Wenn
alle Ereignisse, jedes Geschehen, jeder Mensch, jede Beziehung
klar und durchsichtig auf der Hand lägen, gäbe es keine
Geheimnisse, keine Überraschungen und so auch kein Warum
mehr. Die Welt und das Leben wären langweilig. Leben, das langweilig
und ohne Überraschungen und ohne Geheimnisse ist, verdient den Namen
Leben nicht. Unser Warum muss nicht Ausdruck unserer
enttäuschten Erwartungen sein; es kann Ausdruck dafür werden, dass
wir aufmerksam, achtsam und offen sein wollen für das, was das Leben
mit uns vorhat. Das Warum als Ausdruck einer lebendigen
Beziehung.
Hermann-Josef
Venetz
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