samedi 19 octobre 2013

Licht in der Nacht

Mit Licht verbinden wir normalerweise etwas Positives: Leben, Freude, Leichtigkeit. Mit Nacht verbinden wir Dunkelheit, Finsternis, Trauer und Tod. Die ersten Zeilen der Bibel sagen uns, dass am Anfang, als Gott Himmel und Erde erschuf, Finsternis über der Urflut lag. Und dann heisst es: »Gott sprach: Es werde Licht. Und es ward Licht.« Und weiter: »Gott sah, daß das Licht gut war.« (Gen 1,1-4) Von der Finsternis heisst es das nicht; sie wurde auch  nicht von Gott erschaffen.
Meine Beobachtungen zum Thema »Nacht in der Bibel« sind gewiss sehr unvollständig, und doch habe ich Erstaunliches gefunden.
So erscheint und wirkt und spricht Gott oft in der Nacht. In der Nacht kommt Gott zu Isaak um ihn zu segnen und ihm zahlreiche Nachkommenschaft zu verheissen (Gen 26,24). In der Nacht ergeht das Wort Gottes auch an den Propheten Natan (2 Sam 7,4). In der Nacht hat Daniel die Vision von der lichten Gestalt des Menschensohns (Dan 7). In der Nacht öffnet der Bote Gottes die Gefängnistore und befreit die Apostel (Apg 5,19).
Es gilt aber auch dies: Die Nacht ist die privilegierte Zeit des Gebetes: Der Psalmist singt und fleht nachts zum Gott seines Lebens. Jesus verbringt vor der Auswahl der Zwölf die ganze Nacht im Gebet zu Gott (Lk 6,12). Und in der Nacht, als Paulus und Silas in Philippi im Gefängnis sitzen, beten sie zu Gott und singen Loblieder (Apg 16,25).
Was wir diesen wenigen Beispielen entnehmen können? Für Gott sind auch unsere Nächte und unsere Finsternisse nicht zu dunkel; ja »sie werden leuchten wie der Tag«, heisst es in einem anderen Psalm (139,12), d.h. Gott wird uns auch in unserem schwersten Leid hören und uns beistehen. Darum kann der Beter auch sagen: »Muss ich auch wandern in finsterer Schlucht, ich fürchte kein Unheil«  (23,4). Und andernorts: »Mein Gott macht meine Finsternis hell« (18,29).

Hermann-Josef Venetz


samedi 12 octobre 2013

Wörtlich?



Wenn wir beim Lesen der Bibel etwas nicht verstehen oder Wörter und Sätze uns übertrieben oder gar absurd vorkommen, sagen wir gerne: „Das ist nicht wörtlich zu verstehen.“ Viel hilft eine solche Aussage freilich nicht, weil so ja immer noch nicht gesagt ist, wie es denn zu verstehen ist. 
 
Jeden Tag lesen oder hören oder sagen wir Sätze, die nicht wörtlich zu verstehen sind, und doch verstehen wir sie sehr gut. Beispiele:
Beim Hören dieser Nachricht, standen mir die Haare zu Berge.“
Bei diesem Fussballspiel kam der Käpten überhaupt nie zum Zuge.“
Für den Sonnenaufgang kamen wir zu spät.“
Als mein tot geglaubter Freund kam, bin ich buchstäblich aus allen Wolken gefallen.“
Über dem ganzen Land brütete eine unerträgliche Hitze.“ 
 
Niemand wird diese Aussagen wörtlich nehmen. Heisst das aber auch, dass wir all diese Aussagen nicht ernst zu nehmen brauchen?
Viel eher ist es doch so, dass gerade für die ernsten Erfahrungen und Einsichten die wörtlich zu nehmende Sprache nicht ausreicht. So nehmen wir die bildhafte oder gleichnishafte Sprache zu Hilfe oder verwenden Wörter und Sätze im übertragenen Sinn. Das hat es zu allen Zeiten und in allen Kulturen gegeben.

Das gilt auch für die Zeiten und Kulturen, in denen die Bibel geschrieben wurde. Die Bibel hat etwas Ernstes und Wichtiges zu sagen und sie möchte in diesem Sinne auch ernst genommen werden. Ja, fast könnte man sagen: Je bildhafter die Redeweise, desto dringlicher die Aufforderung an uns, sie ernst zu nehmen und diesen Ernst auch auf uns wirken zu lassen.

Nur ein kleines Beispiel. In Psalm 18 sagt der Beter: „…mit meinem Gott überspringe ich Mauern.“ Klar, dass das nicht wörtlich zu nehmen ist! Was soll das für einen Sinn machen, mit Gott Mauern zu überspringen? Der Beter ist überzeugt, dass ihm im Vertrauen auf Gott – „mit Gott“ – nichts unmöglich sein wird; er wird sich furchtlos für seine bedrängten Mitmenschen einsetzen, und er wird nie mehr sagen: da kann man nichts machen. Mögen die Schwierigkeiten noch so gross sein, „mit seinem Gott“ ist er zu grösserem fähig als er meint.

So spricht sich der Beter selbst Mut zu und bietet Gott sich selbst als Hilfe an, damit es auf dieser Welt friedlicher und gerechter zugeht. Was der Beter hier zum Ausdruck bringt, ist nicht wörtlich zu nehmen. Viel wichtiger ist, dass wir ihn ernst nehmen und uns anstecken lassen von der Zuversicht, die frei macht und dem Leben Schwung gibt.


Hermann-Josef Venetz

samedi 5 octobre 2013

„Tu mir kein Wunder zulieb“





Diese Aussage steht in einem Gedicht von Rainer Maria Rilke, einer Art Gebet, das mit diesen Worten beginnt:
Alle, welche Dich suchen, versuchen Dich...“
Zu diesen Versuchungen, gehört eben auch diese, von Gott Wunder zu erwarten oder gar zu erbeten. Das Schlimme daran ist, dass wir dann Gott an diesen Wundern festmachen. Gott als Wunderwirker. Gott als der Allmächtige. Eine weit verbreitete Vorstellung. Die Vorstellung, dass Gott „über“ allem steht und zu jeder Zeit in die Geschicke der Welt und in Gesetze der Natur und in unser Leben eingreifen kann. Sind wir denn so sicher, dass Gott der Allmächtige sein will?

Rilkes Gedicht geht so weiter:
...Und die, so Dich finden,
Binden Dich an Bild und Gebärde.“
Das ist seit jeher die Art der Menschen – auch und gerade der Gott suchenden Menschen – Gott zu versuchen: dass sie sich von ihm ein Bild machen, dem er – bitteschön – entsprechen soll. Dass sie ihn an Wunder binden, die er auf ihre Bitte hin zu wirken hat. Dass sie ihn unter Kontrolle haben wollen und ihn in Tempeln und Kirchen einsperren. Dass er in allem der Stärkere, der Überlegene sein muss. Mit einer solchen Erwartungshaltung setzen wir Gott unter Druck. Ähnlich wie wir mit unseren Erwartungen unsere Mitmenschen und uns selbst unter Druck setzen.

Rilkes Gedicht geht so weiter:
Ich will von Dir keine Eitelkeit, die Dich beweist.“
Wir wissen aus eigener Erfahrung, dass es nie gut herauskommt, wenn wir meinen, uns beweisen oder jemandem imponieren zu müssen. Bei Gott ist es ebenso: Er soll sich durch nichts beweisen. Er soll nicht imponieren. Er soll Er sein. Er soll sich uns gegenüber nicht anders geben als er ist.
Im Grunde genommen ist das die erste und so wohl auch die wichtigste Bitte des Vaterunsers: Dein Name werde geheiligt. Du mögest Du sein und Du bleiben. Und nicht der, den wir uns wünschen oder uns vorstellen.

Hermann-Josef Venetz