samedi 27 octobre 2012

Ist das Christentum passé?


Es ist schon geraume Zeit her, dass man in unseren Breitengraden von der nachchristlichen Aera spricht. Das Christentum also als ein religionsgeschichtliches Phänomen, das der Vergangenheit angehört. Es ist – in grossen Zeiträumen gerechnet – irgendwann zu Beginn des ersten Jahrtausend aufgetreten und irgendwann gegen Ende des zweiten Jahrtausend wieder verschwunden.

Was es der Welt gebracht? Da liesse sich schon einiges aufzählen, das positiv hervorzuheben ist. Da gibt es aber auch viel Negatives. Der Bischof von Rom, das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche, machte sich schon am Ende des zweiten Jahrtausends Gedanken darüber, wie er bzw. die Kirche im Hinblick auf die Jahrtausendwende die Welt um Verzeihung bitten könne für all das Schlimme, das die Kirche im Laufe der 2000 Jahre der Welt und der Menschheit angetan hat.

dimanche 21 octobre 2012

Kein Einzelgänger


Fresque d'un banquet dans une tombe des catacombes des saints Marcellin et Pierre, Via Labicana, à Rome

In der hebräischen Bibel, die zu unserer jüdisch-christlichen Tradition gehört, steht das Wort »Gott« oft in der Mehrzahl.

In der Schöpfungsgeschichte zum Beispiel sagt Gott: Lasst uns den Menschen machen nach unserem Bild und Gleichnis. Es ist wie wenn eine Gemeinschaft redete und wie wenn Gott die Menschen in diese Gemeinschaft herein holen möchte.

Als Gottes Bild und Gleichnis sollen die Menschen auch seinen Auftrag wahrnehmen: Sie sollen herrschen über die Fische des Meeres und über die Vögel des Himmels und über alles Getier... Eben herrschen wie Gott und mit Gott: Er spendet Leben, er schafft Lebensraum für alle Lebewesen, er trägt Sorge zu allem. Ein mittelalterlicher Theologe sagte es so: Gott will die Welt und uns brauchen, weil er Andere als Mit-Liebende haben will.

Lesen wir in der Bibel weiter, stellen wir fest: Immer wieder sucht und findet Gott Menschen, die ihm helfen, die ihm zur Hand gehen. Er findet Abraham; er soll zum Segen für die ganze Welt werden (Gen 12). Er findet Mose; er soll sein Volk befreien. Gott stellt sich selbst ihm so vor: Ich bin der Gott deiner Väter, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Und man könnte weiterfahren: der Gott der Sara und der Rebekka und der Hagar. Gott gibt sich den Namen von konkreten Menschen (Ex 3). Denn der Gott der Bibel ist ein geselliger Gott, ja ein leidenschaftlich liebender Gott.

Bei der Taufe am Jordan hört Jesus eine Stimme aus dem Himmel: Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden. Man könnte auch so übersetzen: In dir sehe ich den Mit-Liebenden. Es ist eine Stimme der Freude und der Zärtlichkeit. Und Jesus steht nicht allein da; er steht in Vertretung des ganzen Volkes, ja der ganzen Menschheit.

In der Taufszene spielt die Taube eine bedeutende Rolle. In der damaligen Zeit war sie die Liebesbotin. Menschen, die einander gern hatten, stellte man so dar, dass zwischen ihnen eine Taube hin und her flatterte und gurrte – ein Zeichen der Freude und der Verliebtheit.

Das ist das, was Dreifaltigkeit meinen könnte: Gott will ein Gott von Menschen sein, ein Gott der Beziehung. Dafür hat er Jesus geschickt, den Emmanuel, den Gott-mit-uns. Er will der Gott der liebenden Beziehung sein, dafür steht der Geist als Liebesbotin. Er möchte unser Gott, dein Gott und mein Gott. Ein Gott auf Augenhöhe. Ein Gott auf der Suche nach Mit-Liebenden.

Hermann-Josef Venetz

samedi 13 octobre 2012

»Sie soll predigen, nicht politisieren! «



Ein Zürcher Politiker – er sagt von sich selbst in einem Interview, er sei »eigentlich ein sehr christlicher Mensch« – ist aus der Kirche ausgetreten. Grund dafür ist unter anderem die Tatsache, dass sich die Kirche »für Menschen einsetze, die der Gesellschaft nichts Produktives zurückgäben«. Dadurch, dass die Kirche sich beispielsweise gegen die  Ausschaffungsinitiative  oder für die Sans-Papier einsetze, habe sie sich »politisch positioniert«. Sie habe zu predigen und nicht zu politisieren.
Diese Auffassung, die man nicht selten gerade bei »eigentlich sehr christlichen Menschen« findet, veranlasst mich zu einer Feststellung und zu einer Frage.
Die Feststellung ist diese: Jesus stand den damaligen sozialen und politischen Verhältnissen keineswegs neutral oder blauäugig gegenüber. Bereits zu Beginn seiner ersten grossen Predigt betonte er, dass Gott ihn gesandt habe, den Armen gute Nachricht zu bringen, den Gefangenen Freiheit anzusagen, den Misshandelten aufzuhelfen und das Jahr auszurufen, in dem alle von ihren Schulden befreit werden sollen (Lk 4). Die Armen und die Leidenden hatten für Jesus absolute Priorität.
Und gerade dadurch erweist er sich als der Sachwalter Gottes. Gott stellte sich dem Mose am brennenden Dornbusch nicht als »höchstes Wesen« vor, sondern als jener Gott, der das Elend seines Volkes in Ägypten gesehen und ihre Klagen über die Unterdrücker gehört hat und  nicht mehr an sich halten konnte. Und er schickte Mose, dieses Befreiungswerk durchzuführen (Ex 3). Für Gott selbst haben die Armen und Unterdrückten seit jeher absoluten Vorrang. Ja, er ist wesentlich der Gott der Armen.
Die Frage, die ich mir stelle ist die: Worüber hätte denn Jesus »predigen« sollen, worüber sollten denn heute die Kirchen »predigen«, wenn nicht über dieses uralte Anliegen Gottes: dass die Menschen von ihrer Armut und Unterdrückung befreit werden?
Wer die Politik aus der christlichen Verkündigung herausnehmen will, übt Verrat an den Armen – und damit auch Verrat am Anliegen Gottes.
Hermann-Josef Venetz

samedi 6 octobre 2012

Fairness ökumenisch

 Leute, die sich für die Wahl in ein politisches Amt zur Verfügung stellten, kamen überein, einen »fairen« Wahlkampf zu führen. Sie verpflichteten sich, in ihren Wahlreden ihr politisches Gegenüber nicht herunterzumachen, sondern einzig über Sachprobleme zu reden und so die eigenen Vorzüge ins gute Licht zu stellen. Die Beteiligten selbst fanden die Abmachung eine gute Sache. Jeder und jede konnte sich zum Studium der Sachfragen Zeit nehmen, niemand brauchte im Vorleben der Kontrahenten herumzuwühlen, alle konnten sich auf die eigenen Vorzüge besinnen und sich ihrer freuen. Der »Wahlkampf« war nicht flauer als sonst oder anderswo; im Gegenteil. Nach geschlagener »Schlacht« gab es zwar auch Verlierer – damit war zu rechnen; aber es gab keine Verletzte. Alle konnten sich aufrichtig in die Augen schauen und einander die Hand reichen. 
 
 Eine ähnliche Fairness wünschte ich den Leitungsgremien der römisch-katholischen Kirche. Gewiss soll die Kirche Profil zeigen – aber nicht dadurch, dass sie die andern ignoriert. Gewiss soll die Kirche ihre Vorzüge ins gute Licht stellen – aber nicht dadurch, dass sie die anderen in den Schatten oder gar ins Dunkel stellt. Gewiss soll die Kirche auf die vielen Heilsgüter aufmerksam machen, mit denen sie begnadet ist – aber nicht dadurch, dass sie den anderen ihre Mängel aufrechnet. Keine Kirche hat es nötig, sich auf Kosten anderer zu profilieren.

 Die Geschichte lehrt es uns: Wie oft mussten »die Juden« und »die Heiden« schon zu Beginn der christlichen Verkündigung als Bösewichte hinhalten, nur damit Jesus umso strahlender herauskommt. Solche Negativ-Folien waren und sind der Keim des Antijudaismus. Jesus braucht keine Negativ-Folien, um besser dazustehen.

 Von Jesus lesen wir, dass er sogar den Sünderinnen und Zöllnern und den sogenannten Heiden zum Bruder wurde, ohne ihnen ihre Mängel vorzuhalten. Ist es da von seiner Kirche zu viel verlangt, dass sie den christlichen und anderen religiösen Gemeinschaften zur Schwester wird, ohne sie an ihre »schwer defizitäre Situation« zu erinnern? 
 
Je mehr wir die Werte und den Reichtum der anderen entdecken und anerkennen und fördern, desto mehr können wir uns der eigenen Vorzüge erfreuen – und umgekehrt.

 Hermann-Josef Venetz