samedi 31 mars 2012

Nicht zum weiter sagen

Der Evangelist Markus hält nicht viel von Wundern. Den geheilten Aussätzigen schickt Jesus fort, und schärft ihm ein, niemandem etwas davon zu sagen. Auch dem Taubstummen, dem er die Zunge löste und dem Blinden, dem er die Augen öffnete, erlaubt er nicht, über das Vorgefallene zu reden. Als Jesus die Tochter des Jairus auferweckte, waren die Scharen und die Klagefrauen ausser sich vor Staunen. Aber Jesus gebietet ihnen streng, dass niemand davon erfahren dürfe. Ist ein solches Schweige-Gebot nicht völlig illusorisch? Was wollte Markus mit diesen Schweige-Geboten? Er schrieb sein Evangelium in den 70er-Jahren des 1. Jahrhunderts, und zwar an christliche Gemeinden im Römischen Reich. Der Kaiser und das Imperium gehörten zum Faszinierendsten, das es gab. Spätestens nach dem Tod eines Kaisers, wurde dieser ins Pantheon, in die Götterwelt aufgenommen; es wurden für ihn Statuen und Tempel errichtet. Die Geschichtsschreiber wetteiferten miteinander, wer von ihnen den jeweiligen Kaiser ins hellere Licht setzen konnte. Leute, die sich zum Messias Jesus bekannten, waren oft versucht, Jesus in Konkurrenz zu den Kaisern zu sehen. Waren die Kaiser Söhne Gottes, musste auch Jesus Sohn Gottes sein. Nannten sich die Kaiser Retter und Heiland, musste auch Jesus Retter und Heiland sein. Hatten die Kaiser zu ihren Lebzeiten Wunder gewirkt, wie das ihre Biographen belegen, musste selbstverständlich auch Jesus Wunder gewirkt haben. Jesus – der mächtigere Kaiser? der strahlendere Sohn Gottes? der überzeugendere Retter und Heiland? der erfolgreichere Wunderwirker? Das kann’s doch nicht sein! Macht und Erfolg sind nicht Kategorien des Reiches Gottes, wie Jesus es verkündete und lebte. Wer auf einen mächtigen und erfolgreichen Gott setzt, ist auch bereit, in seinem Namen Kriege zu führen. Nicht Allmacht, Stärke, Überlegenheit und auch nicht Wunder sind die Kennzeichen des Gottes Jesu, sondern – wie Jesus selbst es gelebt hat – das Mit-Sein mit den Armen und Geplagten.

Hermann-Josef Venetz

samedi 24 mars 2012

Effata!
(Markus 7,31-37)

Danach blickte Jesus zum Himmel auf, seufzte und sagte zum Taubstummen: Effata!, das heisst: Öffne dich! Sogleich öffneten sich seine Ohren, seine Zunge wurde von ihrer Fessel befreit, und er konnte richtig reden.

Einfach ein Wunder mehr? Wunder zählt man nicht! Jedes beinhaltet eine Welt für sich.

Stummheit war und ist nicht bloss ein körperliches Gebrechen. Für Stummheit gibt es verschiedene Gründe. Es gibt Leiden, das stumm macht. Es gibt Gemeinheiten, die einem die Sprache verschlagen. Zur Zeit Jesu war Palästina von den Römern besetzt; es gibt die dumpfe Stummheit der Unterdrückten.

Es gibt Leute, die haben mehr als andere, mehr an Besitz, mehr an Einfluss. Es gibt auch Leute, die haben mehr an Sprache; sie haben dementsprechend auch mehr zu sagen. Wer Sprache hat, hat auch Macht. Daneben gibt es Menschen, die nicht nur arm sind, ohne Einfluss und ohne Namen; sie haben auch keine Sprache, sie haben nichts zu sagen. Nicht nur der Besitz, auch die Sprache ist ungerecht verteilt.

Wenn Jesus sich der Stummheit entgegenstellt, dann stellt er sich dem Leiden und der Unterdrückung und der Dumpfheit und der Ungerechtigkeit entgegen. Dabei schreibt Jesus den Leuten nicht vor, was sie wie zu sagen haben. Er – so heisst es – befreit sie von der Fessel der Sprachlosigkeit. Er befreit sie zum Reden, zum richtigen Reden. Er lässt die Leute ihre Sprache sprechen.

Hermann-Josef Venetz

samedi 17 mars 2012

Hundertfältige Frucht (Markus 4,8)

So ist es eben, wenn der Sämann mit schwerem Schritt über das Feld schreitet und mit weit ausholendem Schwung den Samen wirft: manches fällt auf den Weg, manches auf felsigen Grund, manches fällt in die Dornen. Was soll's? Sollte er jedes mal den schwungvollen Rhythmus unterbrechen und jedem einzelnen Saatkorn nacheilen? Mit Verlust muss man rechnen. Sicher ist: Das meiste fällt auf guten Boden. Und von dieser Überzeugung lässt sich der Sämann nicht abbringen: Der Boden ist gut. Und zu guter letzt wird hundertfache Frucht dastehen.

Ein wunderbares Bild für das Reich Gottes, oder besser gesagt: für den Trotz der Liebe (was ja im Grunde genommen das gleiche ist). Zu schnell lassen wir uns den Mut und den Schwung nehmen. Zu schnell resignieren wir. Zu schnell lassen wir uns beeindrucken und hinhalten von Misserfolgen, von Enttäuschungen. Zu schnell geben wir klein bei.

Schauen wir auf den Sämann: er sät und sät und sät. Gewiss bemerkt er auch all das, was daneben geht, auf den Weg fällt, auf felsigen Grund, in die Dornen. Doch lässt ihn das nicht aus der Fassung und aus dem Schwung bringen. Der Boden ist gut. Und die Ernte, die Zukunft, gehört Gott; und sie wird grandioser sein als wir erwarten und erhoffen.

Zum Engagement, zum Vertrauen, zur Liebe gehört eben ein Funken Trotz. Sturheit.

Hermann-Josef Venetz



vendredi 16 mars 2012

Spielverderber


Das Gerangel gab es schon auf den ersten Seiten der Bibel und es wird weiterhin bestehen:

Da ist auf der einen Seite die classe cléricale, so könnte man sagen. Es sind vorwiegend Männer, die sich für die Religion verantwortlich fühlen und sich dafür auch einiges einfallen lassen: sie veranlassen den Bau von Tempeln, organisieren feierliche Liturgien, wissen und sagen, was zu tun und zu lassen, wer gut und was böse ist, wer dazu gehört und wer nicht und setzen sich so für eine Ordnung ein, in der sich durchaus leben lässt. Der Gesellschaft ist das gar nicht so unrecht und betrachtet das Ganze als Teil eines Gesellschaftsspiels, das zudem seine praktischen Seiten hat. Es ist praktisch, eine Religion zur Seite zu haben, die für Recht und Ordnung sorgt, den wirtschaftlichen Fortschritt segnet, die zu kurz Gekommenen tröstet, die Guten belohnt und die Bösen bestraft. Namhafte Kreise investieren durch Spenden und Steuern recht viel für die Aufrechterhaltung der entsprechenden Spielregeln.

Auf der anderen Seite stehen die Anwälte Gottes, die Prophetinnen und Propheten, die Spielverderber. Sie sind überhaupt nicht überzeugt davon, dass Gott bei diesem Spiel mitspielen will. Dass er in Tempeln und Kirchen wohnen will. Dass er Opfer verlangt. Dass sein oberstes Prinzip das der klerikalen Ordnung ist. Eine Religion, in der Gott instrumentalisiert und zum Schweigen gebracht wird oder nur das sagen darf, was seine »Diener« ihm in den Mund legen, eine Religion, die jede Ordnung absegnet, in deren Umkreis die eigenen Geschäfte so gut gedeihen..., eine solche Religion ist Götzendienst – so sagen sie, die Spielverderber.

In aller Entschiedenheit treten sie ein für den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, für den Gott der Sara und der Rebekka und der Hagar, für den Gott des Aufbruchs und der Befreiung, für den Gott der kleinen Leute. In seinem Auftrag sagen sie:

„Eure Liturgien mag ich nicht ansehen…; wie Wasser flute das Recht und die Gerechtigkeit“ – so Amos.

„Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer“ – so Hosea.

Und Jesus pflichtet ihnen bei: „Sucht zuerst das Reich Gottes!“…

Gebt Raum den Spielverderbern!

Hermann-Josef Venetz

Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat (Markus 2,27)

Jesus und seine Jüngerinnen und Jünger waren am Sabbat unterwegs. Als sie an einem Kornfeld vorbeikamen, rupften sie die reifen Ähren ab und stillten damit ihren Hunger.

Die Pharisäer machten aus diesem Vorkommnis einen »Fall«: Deine Jünger tun am Sabbat, was nicht erlaubt ist! Es gibt Leute, die bei all ihrem Tun immer nur vom Gesetz ausgehen, und sie wissen immer ganz genau, was – für andere! – erlaubt oder verboten ist. Für sich selbst nehmen sie geschickt die Lücken im Gesetz in Anspruch, durch die sie es elegant zu umgehen verstehen. Leute, die nach erlaubt und verboten fragen, bringen nur selten sich selbst ins Spiel.

Jesus war nicht vom Gesetz oder vom Sabbat umgetrieben, sondern vom Hunger der Jüngerinnen und Jünger. Ausgangsort seines Redens und Handelns waren die notleidenden und hungernden Menschen. In diesem Sinn ist er wirklich der Sachwalter Gottes. Von diesem heisst es in Exodus 3, er habe das Elend seines versklavten Volkes in Ägypten gesehen und sein Klagen und Schreien gehört..., so dass er nicht mehr an sich halten konnte.

Menschen, die an diesen Gott und an seinen Sachwalter Jesus glauben, müssen sich nach ihrem Standort fragen: Stehen sie auf der Seite der Gesetze oder auf der Seite der Armen...


Hermann-Josef Venetz

Mit Gott im Clinch...


... sind wohl alle, die es mit ihm oder ihr zu tun haben, sowohl diejenigen, die sich als gläubig bezeichnen als auch diejenigen, die sich als Atheisten erklären. Der Grund: Der Gott, ob Menschen nun zu ihm beten oder ob sie ihn ablehnen, passt einfach nicht in das Bild, das sie sich von ihm machen. Wer zu Gott betet, hat eine ganz bestimmte Vorstellung von ihm, ganz bestimmte Erwartungen auch, die Gott erfüllen soll, wenn er wirklich Gott ist. Wer Gott ablehnt, hat auch eine bestimmte Vorstellung von ihm oder wenigstens eine leise Ahnung; man kann ja nicht jemanden oder etwas ablehnen, von dem man überhaupt keine Ahnung hat.

Sowohl der Gläubige als auch die Atheistin haben etwas gemeinsam: Sie machen sich ein Bild von Gott. Im Clinch sind sie nicht mit Gott, sondern mit dem Bild, das sie sich von Gott machen. Beiden wäre geholfen, wenn sie sich von ihren Gottesbildern befreien liessen.

Diese Gottesbilder sitzen tief in uns: Wenn schon Gott, dann muss er grösser, mächtiger, erhabener, reicher sein als wir – wozu wäre er denn sonst gut? Und wir setzen alles daran, diesem Gott ähnlich zu werden, eben grösser, mächtiger, erhabener, reicher zu werden – als die anderen. Ein solcher »Gott« wird so zum Grund unserer Konkurrenzkämpfe, der Kriege, der Unterdrückung, der Gewinnmaximierung, der Aufrüstung, des »immer mehr«, »immer schneller«, »immer mächtiger«, »immer reicher«. Von einem solchen »Gott« dürfen, ja sollen wir uns verabschieden, bevor wir uns gegenseitig umbringen, wie das immer wieder und augenblicklich ganz besonders in der Welt geschieht. Der Gott, von dem die Bibel spricht, setzt gerade nicht auf Grösse, nicht auf Konkurrenz, nicht auf Reichtum, nicht auf Gewalt, nicht auf Überlegenheit, nicht auf Allmacht, sondern – fast hätte ich gesagt: im Gegenteil! – er setzt auf Versöhnung, auf Solidarität, auf Gerechtigkeit, auf Gewaltlosigkeit, auf Frieden.

Beim Philosophen Ernst Bloch habe ich einmal den Satz gelesen: Nur ein Atheist kann ein guter Christ sein... Man könnte es auch so verdeutlichen: Wirklich gläubig können wir nur werden, wenn wir uns von unseren allzu menschlichen Gottesbildern, von unseren selbstgefertigten Götzen trennen. Jesaja lässt es Gott in der morgigen Lesung so sagen: Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege.

Befreien wir Gott doch endlich von den Fesseln, mit denen wir ihn gefangen halten!

Hermann-Josef Venetz

vendredi 9 mars 2012

Vertraut auf die Saat! (Markus 4,26-29)


Ein Sämann streut Samen auf die Erde. Dann geht er schlafen und steht wieder auf. Nacht und Tag und Tag und Nacht. Der Same geht auf und wächst empor, ohne dass der Sämann davon weiss. Von selbst bringt die Erde Frucht, erst den Halm, dann die Ähre und dann das volle Korn in der Ähre. Sobald aber die Frucht es zulässt, legt er alsbald die Sichel an, denn die Ernte ist da.

So ist es mit dem Reich Gottes.

Es gibt Bauern, die es ganz anders machen. Kaum haben sie ausgesät, setzen sie sich ungeduldig an den Rand des Beetes und zupfen an jedem Halm, der herauskommt und an jedem Blatt, das sich leise zeigt.

Diesen Bauern möchte ich zurufen: Geht lieber schlafen! Denn erstens ist die Saat gesät, zweitens wird die Saat ohne euch viel besser aufgehen, und drittens liegt die gute Ernte nicht in eurer Hand.

Wer meint, das Reich Gottes selbst in Gang bringen zu müssen, und wer meint, es sei mit Geboten und Verboten und mit »endgültigen« Bestimmungen zu managen, wird nur Unkraut ernten. Solches gibt es genug. Lasst das Rupfen und Zupfen, lasst das Schimpfen und Moralisieren, lasst die falschen Posen, die meinen machen, die ganze Verantwortung läge auf euch. Habt Vertrauen in den Sämann, er hat guten Samen ausgestreut. Und vertraut auf die Saat.

Für die Ernte bürgt Gott selbst. Und niemand sonst. Gott sei Dank!

Hermann-Joseph Venetz

samedi 3 mars 2012

Schafe mitten unter die Wölfe

Ein Wort mit auf den Weg
(Lukas 10,3)

Die Botschaft und die Praxis Jesu stiess ausgerechnet bei den Frommen und Mächtigen auf harten Widerstand. Sie konnten nicht hinnehmen, dass Jesus am Sabbat einen arbeitslosen Mann in die Mitte des Gottesdienstes stellte. Sie konnten nicht hinnehmen, dass er sich von Sündern und Gaunern und Prostituierten zum Essen einladen liess. Sie konnten nicht hinnehmen, dass er die Ehebrecherin nicht der Steinigung preisgab. Sie konnten nicht hinnehmen, dass Barmherzigkeit wichtiger sein soll als Opfer… Liebe, so sagten sie, ist schon recht, aber es darf nicht eine Liebe sein, die gegen unsere Ordnung verstösst; es darf nicht eine Liebe sein, die all unsere Vorstellungen von gut und böse, von rein und unrein, von wichtig und unwichtig, von oben und unten über Bord wirft.

Aber genau so wird es mit dem Reich Gottes sein, das Jesus verkündet und praktiziert. Da gibt es eben kein oben und unten mehr, da gibt es nicht wichtigere und weniger wichtige Leute, da gibt es nicht mehr solche, die dazu gehören und solche die ausgeschlossen sind. Im Reich Gottes hat eben auch der letzte Mensch seine Würde, da hat auch die Sünderin eine Chance.

Es erstaunt nicht, dass Jesus den Seinen das Wort mit auf den Weg gab: »Ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe.«

Hermann-Josef Venetz