samedi 26 novembre 2011

Die Sonne scheint uns

Der die Sonne aufgehen lässt über Gute und Böse

Das Bedürfnis nach Gerechtigkeit ist sehr tief im Menschen verankert. Die Guten sollen belohnt und die Bösen bestraft werden. Das verlangt unser Rechtssystem. Das verlangt auch die so genannte internationale Gemeinschaft: nach den Terroranschlägen in New York und Washington mussten die USA etwas unternehmen – das war für alle Kommentatoren klar.
Nach unserer Bibel und unserer Glaubenstradition scheint auch Gott an diesem Prinzip nicht vorbei zu kommen. Allerdings dringen da auch andere Vorstellungen und Meinungen durch. In einer jüdischen Erzählung wird die Frage gestellt, wie es denn sein werde, wenn David und Goliath vor dem Angesicht des Ewigen erscheinen werden. Die Antwort des Weisen: Sache Gottes ist es nicht, zu belohnen oder zu bestrafen; Sache Gottes ist es, die beiden miteinander zu versöhnen.
In der Bergpredigt, wie sie der Evangelist Matthäus überliefert, steht im Zusammenhang der prophetisch-provokativen Aufforderung, die Feinde zu lieben, das Wort vom Vater im Himmel, der die Sonne aufgehen lässt über Gute und Böse, und der es regnen lässt über Gerechte und Ungerechte. (Matthäus 5,45)

Freie, erwachsene Menschen bedürfen weder der Bedrohung durch Strafe noch der Lockung durch Belohnung. Was sie brauchen ist die Freiheit zur Liebe.
Hermann-Josef Venetz

Murrt nicht!


Murrt nicht!

In der Bibel wird so oft gemurrt, dass »murren« geradezu ein theologischer Fachausdruck geworden ist.
Wann murren die Menschen? Sie murren, wenn sie sich in der Wüste an die Fleischtöpfe in
Ägypten erinnern, die ihnen jetzt nicht zur Verfügung stehen. Sie murren, wenn sie Durst haben, den sie nicht sofort stillen können. Sie murren, wenn die Kundschafter das Land, in das sie ziehen wollen, nicht so schildern, wie sie es gerne hätten.
Im Neuen Testament setzt sich das Murren fort. Die Leute murren, wenn Jesus mit Sünderinnen und Zöllnern zu Tische liegt. Sie murren, wenn sich Jesus vom Oberzöllner Zachäus einladen lässt. Sie murren, wenn Jesus von sich sagt, er sei das Brot. Selbst seine Jünger und Jüngerinnen murren; ihnen ist seine Rede zu hart.
Menschen murren, wenn Gott sich nicht so verhält, wie sie es von ihm erwarten.
Was würde geschehen, wenn Gott dem Murren der Menschen nachgäbe? Sie wären sehr arm dran: sie hätten es nicht mehr mit einem unbegreiflich liebenden Gott zu tun, sondern mit einem Gott ihrer eigenen Vorstellungen, d.h. mit einem kleinen Potentaten ihres eigenen Kalibers.
Gott geht auf das Murren der Menschen nicht ein. Das ist gut so. Das bedeutet nämlich, dass Gott sich selber treu bleibt und dass er nicht bereit ist, sich auf unsere Ränkespiele einzulassen.

Hermann-Josef Venetz

vendredi 25 novembre 2011

Das andere Bürgerrecht

Das andere Bürgerrecht


In den 50-er Jahren des ersten Jahrhunderts gründete Paulus in der römischen Militärkolonie Philippi, einer Stadt in Griechenland, eine christliche Gemeinde. Wenig später musste er feststellen, dass es dort nicht anders zu und her ging als in der Stadt. Die Mechanismen, die das Zusammenleben beherrschten, waren die gleichen: der Kampf um Posten und Pöstchen, um Ämter und Ämtchen gingen Hand in Hand mit Vetternwirtschaft, Rücksichtslosigkeit, Ehrgeiz, Neid und Argwohn …

So funktionierte damals das römische Bürgerrecht. Es war voll und ganz dem Kaiser verpflichtet. Es war ein Bürgerrecht, das Karriere, Vorwärtskommen, Ansehen und vor allem den Profit in den Vordergrund stellte. Es war das Bürgerrecht der Nutzniesser und der Privilegierten.

Paulus musste die Christinnen und Christen in Philippi an ihr eigenes, neues Bürgerrecht erinnern, an ihr Bürgerrecht »in den Himmeln«, wie er es in seinem Brief an die christliche Gemeinde nennt (Philipperbrief 3,20). Das ist weder phantastisch noch naiv noch ein Bürgerrecht nur für die Zukunft oder fürs Jenseits. Das Bürgerrecht des »Reiches Gottes«, wie man auch sagen könnte, ermächtigt jetzt schon zu einem furchtlosen Eintreten für die Würde aller Menschen, besonders derjenigen, die am ehesten in Vergessenheit geraten und vernachlässigt werden: die Untüchtigen, die Zurückgebliebenen, die Verschuldeten.

Das griechische Wort für »Bürgerrecht« heisst politeuma. Das hat etwas mit Politik zu tun. Hermann Josef Venetz